Agilität zu skalieren ist (nicht) sinnvoll, wenn man (nicht) weiß, wie

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In ihrer Studie aus dem Jahr 2021 untersuchten die Wissenschaftler Uluda ̆g et al. die Evolution von über zwanzig dieser agilen Frameworks.

Sie diskutierten Vorteile und Herausforderungen der skalierten Modelle – mit einem Fazit, das für alle gleichermaßen gilt.

Von Sara Ivers-Tiffée

 

 

Ob Scrum, Kanban oder Crystal – in den letzten zehn Jahren wurden agile Methoden in vielen Organisationen eingeführt, vor allem in Unternehmen mit sich stark veränderndem Marktumfeld wie der Software- oder Automobil-Branche. Allerdings wurden diese agilen Ansätze oft in kleinen Organisationen oder organisationalen Einheiten mit weniger als 50 Personen etabliert, hauptsächlich, um Software-Produkte zu entwickeln.

Das Ziel der agilen Produktentwicklung ist in der Regel, die Transparenz und Geschwindigkeit im Produktentwicklungsprozess zu erhöhen. Das soll zu einem schnelleren Einsatz des Produkts führen und gleichzeitig Risiken und Fehler minimieren. In den Anfangsphasen des agilen Arbeitens hatten die Teams meist direkten Zugang zum Kunden. So konnten sie die Grundidee der schnellen Entwicklungszyklen, aufbauend auf dem gesammelten Kundenfeedback, umsetzen.

Den Erfolg, den Organisationen mit der Anwendung agiler Methoden in kleinen, abgegrenzten Bereichen hatten, inspirierte viele, diese auch in größeren Bereichen einzusetzen oder sogar ihre gesamte Organisation agil aufzustellen. Doch was es genau bedeutet, eine gesamte Organisation agil aufzustellen und wie sinnvoll das ist, wurde bisher wenig erprobt und erforscht (Uluda ̆g et al.).

 

Agile Methoden für große Projekte und Organisationen

Um agile Methoden zu skalieren, und so auch für große Projekte und Organisationen anzuwenden, wurden in den vergangenen Jahren diverse skalierte agile Methoden wie SAFe (Scaled Agile Framework) oder LeSS (Large Scale Scrum) entwickelt, mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausrichtungen (Uluda ̆g et al.). SAFe und ETF (Enterprise Transition Framework) kamen beispielsweise auf den Markt, um mit gesteigerter Komplexität umzugehen, die zwangsläufig folgt, wenn agile Frameworks auf ganze Unternehmen anwendet werden sollen. Beide Ansätze dienen dazu, groß gewordene Produktorganisationen in kleinere unabhängige Unternehmensteile zu zerlegen und so leichter steuerbar zu machen. Frameworks wie LeSS wurden u. a. kreiert, um den agilen Ansatz weiter in die Organisationen zu tragen, also auch über die Produktentwicklung hinweg, in andere Teams und organisationale Einheiten. Somit entfernen sich diese skalierten agilen Frameworks zum Teil von ihrem Grundgedanken, die Produktentwicklung als solche zu optimieren.

 

Herausforderungen in der Anfangsphase

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass bereits die Einführung agiler Frameworks häufig von Herausforderungen geprägt ist, sie etwa aufgrund der Komplexität der Modelle scheitert (Ömer et al.). Letztlich lässt sich die Einführung eines skalierten Frameworks mit einem umfassenden Transformationsprojekt vergleichen: Es bedarf viel Wissen zu den jeweiligen Frameworks, um diese richtig anwenden zu können. Die Einführung ist daher oft zu teuer und kostet zu viele Ressourcen. Anwender:innen mangelt es an Wissen, da zu Beginn die entsprechende Transformationsbegleitung und Trainings fehlen. Und häufig steht das Management-Team nicht vollständig hinter der Entscheidung und lebt das agile Mindset selbst nicht vor. Denn agil zu arbeiten, bedeutet, eine Umverteilung von Verantwortung und ein Loslassen von alten Strukturen.

 

Beispiel für einen erfolgreichen Start agiler Methoden

Dennoch gibt es Beispiele, die zeigen, dass die Einführung von agilen Methoden in größeren Organisationen auch erfolgreich verlaufen kann. Junker et al. haben ein Unternehmen mit mehr als 4.000 Mitarbeiter:innen bei der agilen Transformation begleitet und agile Methoden in allen Abteilungen des Unternehmens, einschließlich der Personal-, Finanz- und IT-Service-Abteilung etabliert. Die Transformation wurde in vier Phasen unterteilt. Dabei war es den Teams selbst überlassen, mit welchem Tempo sie die vier Phasen durchlaufen. Am Ende jeder Phase mussten die Teams durch ein sog. “Quality Gate”, einen internen Bewertungsprozess gehen, bevor sie zur nächsten Phase übergehen konnten.

Das Ziel von Phase 1 war, das Engagement für den Veränderungsprozess unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass im Team mit der Umsetzung agiler Arbeitsweisen begonnen wurde. Nach Phase 2 sollten Rollen und Kernaufgaben geklärt sein. Nach Phase 3 sollten die Teams in ein Netzwerk von weiteren Teams im Unternehmen integriert sein und ihren beruflichen Entwicklungsbedarf geklärt haben. In der letzten Phase sollten interne und externe Kunden die Effizienz des Teams bestätigen (Junker et al.).

 

Effektiveres Arbeiten und bessere Performance

Bei dem strukturierteren Ansatz, der bei dieser agilen Transformation gewählt wurde, ist spannend, dass neben der Einführung von agilen Methoden, also dem „Was“, auch das „Wie“ eine große Rolle spielte. Dadurch, dass die Teams proaktiv ihre Transformation hin zur agilen Organisation begleitet haben, war ihr Commitment und ihre Akzeptanz zu der Veränderung hoch. Deutlich wird dies in den Ergebnissen der Studie, in denen Junker et al. zeigen, dass die Teams effektiver arbeiten, und eine bessere Performance haben als die Vergleichskohorte. Sinnvoll ist die Skalierung von agilen Methoden in Organisationen also nur dann, wenn sie clever eingeführt und begleitet wird.

Quellen

Aghina, W., Handscomb, C., Salo, O.,  Thaker, S., (2021) “The impact of agility: How to shape your organization to compete”, McKinsey Global Publishing

Ömer, U. Putta, A., Paasivaara, M., Matthes, F., (2021) “Evolution of the Agile Scaling Frameworks“, Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming. Springer, p. 123 ff

Junker, L.T., Gorgievski M. J., Derks, D., (2022) „Agile work practices and employee proactivity: A multilevel study”, Human Relations 2022, Vol. 75(12) 2189–2217