Anschreiben sind bei einer Bewerbung (un)verzichtbar

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In Zeiten der zunehmenden Bedeutung beruflicher sozialer Netzwerke sowie eines in Teilen spürbaren Fachkräftemangels stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Motivationsschreiben im Bewerbungsprozess. Die ersten Unternehmen verzichten ganz darauf. Was bringen sie wirklich für die Recruiter?

Berufliche soziale Netzwerke spielen für das Recruiting eine immer größere Rolle. Sie bieten die Möglichkeit der Direktansprache von qualifizierten Kandidaten, was für viele Unternehmen insbesondere mit Blick auf besonders begehrte Profile ein unverzichtbarer Kanal geworden ist. Die beruflichen sozialen Netzwerke wie Xing oder LinkedIn haben damit den Bewerbungsprozess insgesamt stark verändert. Nichtsdestotrotz gehört das Bewerbungs- und Motivationsschreiben immer noch zum Standard (vgl. z.B. Hesse & Schrader, 2015; Rohrschneider & Lorenz, 2015). Dabei wird der Sinn oder Unsinn des Bewerbungsschreibens – unabhängig davon, von welcher Seite die Bewerbung initiiert wurde – derzeit (wieder) intensiv in den Medien diskutiert. Insbesondere von Seiten der Bewerbenden wird hierbei der Mehrwert eines solchen Schreibens stark angezweifelt (Indeed-Bewerbungsstudie, 2016).

Diese Ansicht wird durch die Tatsache unterstützt, dass sich Recruiter in der Regel eher wenig Zeit nehmen die Unterlagen genau zu begutachten. Wie die ICR Recruiter Study 2012 zeigte, nehmen sich weniger als 5 Prozent der Rekrutierenden in Unternehmen mehr als 15 Minuten Zeit, um eine Bewerbungsunterlage einer ersten Prüfung zu unterziehen. Die große Mehrheit von ihnen investiert dagegen maximal 5 Minuten, um zu der Entscheidung zu kommen, ob ein Kandidat interessant ist.

Wie wichtig ist das Bewerbungsanschreiben nun aber tatsächlich und bietet es einen Mehrwert für den Entscheidenden auf Seiten eines Unternehmens? Kanning (2016) hat in einer Studie Personalverantwortliche in Unternehmen unterschiedlicher Größe befragt, welche Kriterien diese nutzen, um eine (Erst-)bewertung eines Bewerbenden anhand der Sichtung von Bewerbungsunterlagen durchzuführen. Dabei zeigte sich zunächst, dass bei fast 50 Prozent der befragten Unternehmen in der Regel noch nicht einmal allgemein verbindliche Kriterien existieren, die beim ersten Blick in die Unterlagen genutzt werden (können). Bei den meisten der Befragten gab es zumindest einige Standards, jedoch bei nur etwas mehr als 1 Prozent tatsächlich einen vollständigen Kriterienkatalog, der zum Einsatz kommt. Dabei gibt es keine signifikanten Unterschiede bzgl. der Unternehmensgröße (Kanning, 2016).

Für das Anschreiben an sich, lassen sich daher bereits zwei Dinge vermuten: Erstens, wenn nicht wirklich vollständige Kriterienkataloge vorliegen, dann ist die Erwartung, dass jeder Bewerbung auch ein Anschreiben beizuliegen hat, womöglich der Gewohnheit geschuldet und nicht – wie auch immer – abgeleiteten Kriterien. Zweitens, welche inhaltlichen Anforderungen ein solches Schreiben erfüllen muss, um „zu bestehen“, lässt sich nur schwer ermitteln.

Kanning stellt jedoch gleichzeitig fest, dass Anschreiben bzw. ihren Bestandteilen eine hohe Bedeutung beim Sichtungsprozess zugemessen wird. So nennen mehr als 80 Prozent der Befragten, dass für sie die Bewerbungsgründe von Interesse sind. Auch die Angaben, warum ein Bewerbender zur Position bzw. dem Unternehmen passe, führen zu ähnlich hohen Werten. Also alles Informationen, die man in einem Bewerbungs- bzw. Motivationsschreiben erwartet. Danach folgen die Beschreibung der eigenen Stärken (etwa 70 Prozent), sowie die Erläuterung des Nutzens für den potenziellen Arbeitgeber (immerhin noch fast 60 Prozent), die ebenfalls auf ein noch recht hohes Interesse stoßen. Dabei ist bei allen genannten Punkten kein Unterschied in Bezug auf die Unternehmensgröße feststellbar. Einzige Ausnahme bildet die Aussage zur Passung, die in größeren Unternehmen sogar noch etwas stärker in den Fokus rückt (Kanning, 2016).

Tatsächlich haben sich in der Studie damit die Befragten jedoch nur zu rein formalen Kriterien des Anschreibens geäußert, also dem Vorhandensein bzw. Fehlen von bestimmten Angaben und nicht welches Urteil sie letztendlich daraus ableiten. Kanning (2016) weist zusätzlich daraufhin, dass bisher auch keinerlei Untersuchungen vorliegen, die etwas darüber aussagen, inwieweit aufgrund der Ausgestaltung der Angaben in Bewerbungsschreiben, Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale geschlossen werden können, die ja für die weitere Entscheidung im Prozess maßgeblich wären.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Feststellung, dass formale Kriterien beim Sichtungsprozess durch Personalverantwortliche eine sehr große Rolle spielen. So werden „Flecken in den Unterlagen“, sowie Tipp- und Grammatikfehlern von jeweils von etwa 88 Prozent der Befragten als Kriterien genannt und stellen somit die höchstbewerteten „Formalkriterien“ überhaupt dar (Kanning, 2016).

Wie in verschiedenen Studien zusätzlich belegt wird, werden, ganz abgesehen von den Informationen aus den Anschreiben, in Personalabteilungen (immer noch), neben einigen validen Kriterien auch Informationen, die sich zur Beurteilung von Bewerbenden nur bedingt eignen, genutzt. Dies gilt zum Beispiel für das Kriterium der „Führungserfahrung“ oder auch der „Lücke im Lebenslauf“ (Kanning, 2015).

Solange also auch bzgl. der Informationen, die einem Bewerbungsschreiben entnommen werden, keine Erkenntnisse zu ihrer Aussagekraft vorliegen, muss ihre Eignung in Frage gestellt werden. Dies scheint die Verantwortlichen in den Personalabteilungen jedoch bisher nicht davon abzuhalten, die herausgelesenen Informationen für ihre Entscheidungsprozesse einzusetzen, wie die Studie zeigt (Kanning, 2015). Erst wenn sich dies ändert oder aber die Eignung von Bewerbungsschreiben nachgewiesen wird, kann ein endgültiges Urteil über deren Sinnhaftigkeit gefällt werden.

Auf Seiten des Bewerbenden nun den Schluss zu ziehen, der Aufwand für die Erstellung des Anschreibens lohne nicht und die Bewerbung funktioniere auch ohne, ist somit wohl falsch, solange in Personalabteilung den Bestandteilen von Anschreiben eine derart hohe Bedeutung beigemessen wird und diese neben anderen als Kriterien zur Beurteilung herangezogen werden. Vielmehr könnte es Sinn machen, einen (großen) Teil der Aufmerksamkeit bei der Erstellung von Anschreiben insbesondere auch auf Tippfehler und Grammatik zu richten. Und für die Personalverantwortlichen heißt dies, ihre Entscheidungskriterien zu überdenken, denn eine Entscheidung allein aufgrund des Anschreibens ist wohl nicht begründbar und eine Bewerbung, dem kein Anschreiben beiliegt, grundsätzlich aus dem weiteren Verfahren auszuschließen, unter Umständen ein nicht revidierbarer Fehler für ein Unternehmen, da somit evtl. ein an sich geeigneter Kandidat verloren geht.

Quellen: