Ein kreativer Kopf kann doch (nicht) das ganze Team runter ziehen

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An Teammitglieder, die als besonders kreativ gelten, werden hohe Erwartungen gestellt. Damit sie diese auch erfüllen können, müssen bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und für innovative Teamergebnisse braucht auch ein besonders kreativer Kopf unbedingt ein lernbegeistertes und proaktives Team.

Von Luisa Lingemann

Die Zusammenarbeit im Team ist in unserer Arbeitswelt wichtiger denn je, um immer komplexere Fragestellungen zu bearbeiten. Hierbei und auf dem Weg zu Innovationen ist Kreativität zweifellos eine wichtige Stärke.

Somit gibt es bereits zahlreiche Erkenntnisse, wie Kreativität entsteht, wozu sie führt und auch dazu, wie wir unserer Kreativität auf die Sprünge helfen können. Hier geht es vorwiegend um die Kreativität eines jeden Einzelnen. Im (Arbeits-)Alltag und in unserer Zusammenarbeit gehen wir oft davon aus, dass je kreativer die einzelnen Leute sind, desto kreativer auch das Ergebnis der Gruppe sein muss. In der Wissenschaft finden wir für die Annahme, dass die Kreativität von Teams ein Produkt von individueller Kreativität ist auch durchaus Bestätigung (Pirola-Merlo & Mann, 2004).

Mit Sicherheit hat sich auch jeder schon mal darüber gefreut, einen besonders kreativen Kopf im Team zu haben – in der Hoffnung, dass dieser schon innovative Lösungen parat haben wird. Auch hierzu gibt es Erkenntnisse in der Wissenschaft: Team-Kreativität scheint positiv von dem kreativsten Teammitglied abhängig zu sein (Somech & Drach-Zahavy, 2013).

Wie kann es dann sein, dass es immer wieder Fälle gibt, in denen kreative Individuen miteinander scheitern?

„Creative stars“ sind Fluch und Segen zugleich

Hierzu liefert eine neue Studie von Li, Li, Li & Li (2020) neue Erkenntnisse: Sie zeigt, dass besonders kreative Teammitglieder sowohl einen positiven als auch einen negativen Einfluss auf die Kreativität des gesamten Teams haben können. Außerdem gibt sie Aufschluss darüber, wann Teams wirklich von besonders kreativen Individuen profitieren.

Die Studie beschäftigt sich mit dem Einfluss von sogenannten „creative stars“, also Teammitgliedern, die im Vergleich zu den anderen Teammitgliedern besonders kreativ sind, auf die Kreativität des gesamten Teams.

Die Forscherinnen und Forscher führten zwei voneinander unabhängige Studien mit Teams aus dem Bereich Forschung & Entwicklung sowie Teams aus dem Vertrieb in diversen Industrien durch. In zwei Erhebungswellen wurden jeweils zunächst Teams und Teamleiter zur Gestaltung der Zusammenarbeit im Team und anschließend die jeweiligen Führungskräfte der Bereiche zu der Ausprägung der Kreativität der Teams befragt.

Die Studienergebnisse zeigen folgendes: Zunächst wird die auch im Arbeitsalltag verbreitete Annahme bestätigt, dass besonders kreative Köpfe, die eine zentrale Rolle in Teams einnehmen (gemessen an dem Ausmaß, zu dem sich Teammitglieder darauf verlassen, von dieser Person relevante Information zu erhalten) einen positiven Effekt auf die Kreativität des gesamten Teams haben.

Jedoch zeigen die Ergebnisse auch, dass diese kreativen Köpfe nicht ausschließlich positiv auf das Team einwirken: Indem sie den Wissenserwerb der weniger kreativen Teammitglieder – gemessen in explorativen und exploitativen Lernaktivitäten – hemmen, üben sie einen negativen Einfluss auf die Kreativität des gesamten Teams aus.

Als drittes wesentliches Ergebnis können die Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass es allerdings eine Beschaffenheit der Zusammenarbeit in Teams gibt, die diesen negativen Effekt auffangen kann: die Koordination von Teams – das Ausmaß, zu dem Interaktionen innerhalb von Teams effektiv koordiniert sind.

Um zu scheinen brauchen „Creative stars“ eine zentrale Rolle, ein aktives Team und effektiv koordinierte Zusammenarbeit

Was bringen uns diese Ergebnisse nun in der Praxis – wenn wir in Teams zu so richtig kreativen Ergebnissen kommen wollen?

Die Interaktionen zwischen besonders kreativen, leistungsstarken Mitarbeitenden und ihren Teammitgliedern verdienen eine besondere Aufmerksamkeit, da diese eine Auswirkung auf die Leistung des gesamten Teams haben können.

In der Gestaltung von Teamarbeit sollten wir verstärkt darauf achten, dass die kreativsten Köpfe einerseits ihr volles Potenzial entfalten können. Hier zeigt die erläuterte Studie, dass dies unter anderem dadurch erreicht werden kann, dass diese Mitarbeitenden tatsächlich eine zentrale Rolle im (Team-)Netzwerk einnehmen (Li et al., 2020).

Andererseits sollten sich auch die anderen Teammitglieder der Bedeutung ihrer eigenen Beiträge bewusst sein und somit aktiv in Wissenserwerb und Lernen investieren. Im Team sollte ein gemeinsamer Weg gefunden werden, wie verhindert werden kann, dass sich einzelne Teammitglieder zu sehr auf einen vermeintlich besonders kreativen Kopf verlassen oder aufgrund dessen Dominanz weniger aktiv zum Teamziel beitragen. Denn auch die kreativen Köpfe profitieren von den Ideen der anderen und nutzen diverse Informationen, um zu neuen Lösungen zu kommen.

Nicht zuletzt führt uns die Studie vor Augen, dass sich eine effektive Koordination der Teamarbeit – also zum Beispiel gemeinsame Ziele, eine gemeinsame Sprache oder eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe (Li et al., 2020) – lohnt. So können die kreativsten unter uns in ihrer wichtigen Rolle in Teams entlastet und die Beteiligung aller am kreativen Prozess gefördert werden.

Dann stehen die Chancen gut, dass die „creative stars“ gemeinsam mit ihrem Team ihre volle Strahlkraft entfalten.

Quellen: