Fluktuation ist (n)immer ein Problem

Fluktuation ist einer der größten Kostenverursacher in Unternehmen. Es fallen sowohl direkte Kosten für Rekrutierung, Auswahl und Weiterbildung von neuen Mitarbeitern an, als auch indirekte Kosten durch Know-how-Verlust und Arbeitsunterbrechung. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit der Frage, wie insbesondere sogenannte High Potentials langfristig an die Organisation gebunden werden können. Allerdings klafft eine große Lücke zwischen dem in der Praxis verbreiteten Verständnis von Fluktuation bzw. Mitarbeiterbindung und Erkenntnissen evidenz-basierter Forschung. Forscher um David Allen (2010) räumen mit fünf gängigen, aber falschen Auffassungen zur Mitarbeiterbindung auf.

Missverständnis 1: „Es existiert nur eine Art von Fluktuation und die ist immer schlecht.“
Aus evidenz-basierter Sicht lässt sich festhalten, dass es mehrere Arten von Fluktuation gibt: freiwillige vs. unfreiwillige, dysfunktionale vs. funktionale und vermeidbare vs. unvermeidbare. Dabei kommt der Unterscheidung in dysfunktionale und funktionale Fluktuation besondere Bedeutung zu. Dysfunktionale Fluktuation ist tatsächlich problematisch, da sie den Verlust von High Potentials betrifft, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten nur schwer zu ersetzen sind. Funktionale Fluktuation dagegen betrifft das Ausscheiden von Beschäftigten, deren Leistung eher unterdurchschnittlich ist und die somit leicht zu ersetzen sind. Funktionale Fluktuation ist daher eher unproblematisch oder sogar erwünscht.

Missverständnis 2: „Personen verlassen das Unternehmen aufgrund des Gehalts.“
Viele Studien haben gezeigt, dass Gehalt und Gehaltsniveau schwache Prädiktoren von individuellen Wechselentscheidungen sind. Gründe für Wechselintentionen liegen dagegen eher im Bereich der Mitarbeiterführung, der Arbeitsplatzgestaltung, der Arbeitszufriedenheit und der Beziehungen zu Kollegen/innen.

Missverständnis 3: „Personen verlassen das Unternehmen, weil sie unzufrieden mit ihrer Arbeit sind.“
Arbeitsunzufriedenheit ist tatsächlich nur in weniger als der Hälfte aller Fälle die entscheidende Determinante für Wechselentscheidungen. Vielmehr gibt es viele unterschiedliche Gründe zu denen Arbeitscharakteristika, Führung und individuelle Charakteristika gehören, aber auch Berufsalternativen und plötzliche Veränderungen.

Missverständnis 4: „Manager/innen können kaum etwas gegen Wechselentscheidungen tun.“
Aus evidenz-basierter Sicht gibt es zahlreiche Personalpraktiken, die den Wechselintentionen und -entscheidungen entgegen wirken. Dies beginnt bereits bei der Rekrutierung, bei der den Bewerber/innen ein realistisches Arbeitsbild der verfügbaren Position vermittelt werden sollte. So wird Enttäuschung und Unzufriedenheit vermieden. Gleichermaßen senken eine fundierte Personalauswahl, Weiterbildungsmaßnahmen und Karriereplanungen, individuelle und gerechte Vergütungspraktiken sowie Führungskräfteentwicklung die Wechselintentionen.

Missverständnis 5: „Eine einfache one-size-fits-all-Strategie zur Mitarbeiterbindung ist am effektivsten.“
Kontextabhängige Strategien zur Mitarbeiterbindung sind deutlich effektiver. Dazu gehört auch eine fundierte Analyse der Gründe, warum Mitarbeiter/innen das Unternehmen verlassen bzw. warum sie im Unternehmen bleiben. Gleichermaßen ist ein Benchmarking notwendig, indem die Fluktuationsrate des eigenen Unternehmens mit der Rate innerhalb der eigenen Branche verglichen wird. Ebenfalls haben sich sog. Exit Interviews, regelmäßige Mitarbeiterbefragung sowie die Verwendung multipler Datenquellen als besonders effektiv erwiesen, um einerseits fundierte Strategien zur Mitarbeiterbindung zu generieren und andererseits – konkret und auf den Kontext bezogen – beurteilen zu können, inwieweit Fluktuation im Unternehmen tatsächlich problematisch ist.

Für die Praxis bedeutet dies zum Einen, Fluktuationszahlen differenzierter zu betrachten (und ggf. zu erheben) und zwischen funktionaler und dysfunktionaler Fluktuation zu unterscheiden. Zum Anderen ist dysfunktionaler Fluktuation entgegenzuwirken, wobei Ansatzpunkte für kontext- abhängiges Verständnis und wirksame Maßnahmen in allen HR-Aufgaben (von Rekrutierung über Führungskräfteentwicklung bis hin zu Exit-Interviews) liegen.

Quellen