Freiheit am Arbeitsplatz ist (un)endlich

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Menschen fordern zunehmend auch im Arbeitskontext ein Mehr an Autonomie ein. Und tatsächlich lässt sich eine Entwicklung zu höheren Freiheitsgraden für Mitarbeitende beobachten, was auch den Unternehmen zugutekommt. Aber ohne Orientierung bringt viel Freiheit gar nichts.

Von Linda Coldewey

 

„Sie (die Freiheit) ist die Eigenschaft der Wesen, bei denen das Bewusstsein einer Regel der Grund ihrer Handlung ist.“ Immanuel Kant (1724 – 1804)

Bereits seit einigen Jahren lässt sich beobachten, dass Menschen die Freiheiten, die sie in ihrem Privatleben und als Teil einer freien und demokratischen Gesellschaft haben, auch im Arbeitskontext einfordern. Gleichzeitig lässt die Digitalisierung die Organisationsstrukturen, die im industriellen Zeitalter und durch tayloristische Managementprinzipien entstanden sind, immer stärker aufbrechen und sie verstärkt die Entwicklung hin zu mehr Dezentralisierung und Gestaltungsmöglichkeiten für Mitarbeitende. Eine Studie von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e.V. (ZAAG) und der Gesellschaft für Wissensmanagement e.V. (GfWM) aus dem Jahr 2016 bildet diese Entwicklung ab: 68 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Freiheit und Souveränität bei ihrer Arbeit. Spannend ist hierbei, dass die Befragten individuelle Freiheitsgrade wie Autonomie und Einflussnahme höher bewerteten als strukturelle Freiräume wie zum Beispiel flexible Organisationsstrukturen. Doch was genau ist eigentlich Freiheit? Freiheit ist per Definition der „Zustand, in dem jemand von bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen, als Zwang oder Last empfundenen Bindungen oder Verpflichtungen frei ist und sich in seinen Entscheidungen oder ähnliches nicht (mehr) eingeschränkt fühlt“ (Duden, 2018).

Gute Befunde zu den Effekten von Freiräumen im organisationalen Kontext

Was Freiheit hingegen in Organisationen bedeutet, hängt mitunter vom Geschäftsmodell und den Aufgaben der Mitarbeitenden ab, sodass Freiräume nicht gleichermaßen entwickelt und umgesetzt werden können. Doch welche Gründe sprechen dafür, Freiräume für Mitarbeitende zu schaffen? Bereits seit den 1980er Jahren weiß die Forschung um die positiven Effekte von Freiraum und Dezentralisierung in Organisationen: Conger & Kanungo (1988) oder Spreitzer (1995) haben unter anderem mehr Leistungsfähigkeit, ein besseres Wohlbefinden sowie eine höhere Zufriedenheit der Mitarbeitenden im Zuge von mehr Freiräumen nachweisen können. Auch aktuellere Forschung konnte positive Effekte darlegen: In einer Gegenüberstellung von unterschiedlichen Führungsformen konnte gezeigt werden, dass geteilte Führung, also die Streuung von Verantwortung in einem Team und das Überlassen der Führungskräfte von Entscheidungen, die Produktivität der Mitarbeitenden und letztlich die Unternehmensleistung steigern konnte (Bruch, Färber & Block, 2018).

Hohe Arbeitsanforderungen bei fehlendem Handlungsspielraum führt zu einem erhöhten Stresslevel

Der Soziologe Robert Karasek hat mit dem Job-Demands-Resources-Modell etwas gezeigt, was auch für die Diskussion um Freiräume am Arbeitsplatz relevant ist: Hohe Arbeitsanforderungen gepaart mit einem fehlenden Handlungsspielraum bzw. Autonomie führen zu einem erhöhten Stresslevel und Erschöpfung. Allerdings konnte auch nachgewiesen werden, dass hohe Arbeitsanforderungen zu geringerem Stress und Erschöpfung führten, wenn Mitarbeitende autonom handeln konnten, Feedback erhielten und ein gutes Verhältnis zu ihren Führungskräften hatten (Bakker & Demerouti, 2007). Mit Blick auf die Forschung, die sich damit beschäftigt, wie Innovationen im organisationalen Kontext entstehen, wird ebenfalls deutlich, dass partizipative und freiraumgebende Arbeitsplätze eine Grundvoraussetzung sind. Innovation wird darüber hinaus in einer Befragung stärker mit Freiheit als mit Sicherheit assoziiert (Hays et. al., 2016). Bei all den positiven Auswirkungen stellt sich allerdings die Frage, ab wann Freiheit auch negative Auswirkungen haben kann. Die bereits oben zitierte Studie zu Führungsformen hat gezeigt, dass der Laissez-faire Führungsstil die Mitarbeiterproduktivität sowie Unternehmens- und Innovationsleistung negativ beeinflusst. Laissez-faire meint Nicht-Führung, in der Führungskräfte keine Verantwortung übernehmen und ihren Mitarbeitenden kein Feedback geben (Bruch, Färber & Block, 2018). Mitarbeitende, die ein schlechtes Verhältnis zu ihren Führungskräften haben und ebenfalls wenig Feedback erhielten, waren bei hohen Arbeitsanforderungen schneller gestresst und erschöpft (Bakker & Demerouti, 2007). Freiheit führt daher ohne Orientierung, zum Beispiel durch Feedback, nicht zu den gewünschten positiven Effekten, sodass der Umgang mit Autonomie und Freiheitsgraden in Organisationen die entsprechenden Rahmenbedingungen erfordert.

Freiheit braucht Orientierung und die richtigen Rahmenbedingungen

Eine zentrale Aufgabe von Führung ist und war es schon immer Orientierung zu geben und diese wird bei zunehmenden Freiheitsgraden und Autonomie umso wichtiger. Die Herausforderung besteht darin, das gemeinsame Handeln an der Strategie oder Vision auszurichten und einen Bezugsrahmen zum Beispiel durch Leitlinien zu geben. Neben Führung gilt es, eine entsprechende Kultur und die dazu passenden Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen autonom arbeiten können. Hier nehmen Führungskräfte eine unterstützende Rolle ein, bringen den Mitarbeitenden Vertrauen entgegen, schaffen Sinnangebote und geben intellektuelle Anregungen. Neben den Aspekten, die gemeinhin der transformationalen Führung zugeordnet werden können, sind ebenso transaktionale Komponenten sehr wichtig (z.B., Bass & Avolio, 1990; van Dierendock, 2011; Yulk, 2013). Es müssen Klarheit über Ziele, Aufgabenverteilungen, Prozesse und Verantwortlichkeiten gegeben sein. Mitarbeitende müssen wissen, wie beispielsweise Entscheidungsprozesse ablaufen, wann sie alleine entscheiden können und wann es sinnvoll und erforderlich ist, einen Kollegen oder gar die Führungskraft mit einzubeziehen. Hohe Freiheitsgrade in der Gestaltung der eigenen Arbeit verlangen aber auch nach Kompetenzen auf Seiten der Mitarbeitenden: Hierzu zählen Selbstmanagement und Entscheidungskompetenz, aber auch die Fähigkeit Verantwortung für Aufgaben und die Arbeitsergebnisse übernehmen zu können. Grundvoraussetzung hierfür ist die Passung zwischen den Stellenanforderungen und den Kompetenzen sowie Fähigkeiten der Mitarbeitenden, damit sie nicht überfordert sind. Wenngleich nicht jede Organisationsform Freiräume für ihre Mitarbeitenden gleichermaßen ermöglichen kann, so lohnt es sich, Menschen auch in ihrem Arbeitsumfeld mehr Autonomie und Handlungsspielraum zu geben. Es gilt, dabei herauszufinden, welches Maß an Freiheit für die Erledigung von arbeitsbezogenen Aufgaben sinnvoll ist und wie die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür gestalten werden müssen.

Quellen: