Kreative Mitarbeiter sind (nicht) wünschenswert

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Innovation braucht Kreativität und um wirklich kreativ sein zu können, muss auch ein Stückweit die (Selbst)Kontrolle aufgegeben werden. Denn: Innovation geht nicht ohne das Überwinden von (gedanklichen) Grenzen. Dies wiederum ist allerdings nicht ohne Risiken. Weshalb durchaus die Frage berechtigt ist: Kann sich eine Organisation zu viele kreative Mitarbeitende leisten?

Von Anne Haker

Bei der Durchsicht aktueller Stellenanzeigen scheint es ganz klar: Unternehmen wollen und brauchen kreative Mitarbeiter. Auch der Blick in gängige Kompetenzmodelle offenbart: Kreativität scheint eine überaus wünschenswerte Stärke zu sein und wer sie nicht hat, findet vielfältige Anreize, sie zu trainieren oder zumindest mittels kreativitätsfördernder Ansätze wie Design Thinking das Beste (heißt: Kreativste) aus sich herauszuholen.

Die Innovationsforschung geht davon aus, dass der Innovationsprozess an sich durchaus risikobehaftet ist, hierbei steht jedoch in der Regel der zwischen der kreativen Ideengenerierung und der marktfähigen Innovation vermittelnde Schritt der konkreten Erfindung im Fokus. Die Kernfrage lautet meist: Wie schiffen wir über die stürmische See der Invention, um kreative Ideen sicher in den Hafen der profitablen Innovation zu bringen?

Es gibt einen Zustand der Enthemmung

Was selten bis gar nicht betrachtet wird, ist, welche Risiken in der Phase der kreativen Ideenfindung selbst liegen. Ist es wirklich so rein positiv und stets wünschenswert, Mitarbeiter und Führungskräfte mit hoher Kreativität an Bord zu haben bzw. zu holen? Mit dieser Frage haben sich Khessina, Goncalo und Krause (2018) von der University of Illinois und dem University College London beschäftigt und stellen fest: Ganz so eindeutig lässt sich das nicht beantworten, denn offensichtlichen Chancen stehen durchaus bedenkenswerten Risiken gegenüber.

Dabei ist der mit Kreativität assoziierte Zustand von „Disinhibition“ besonders interessant, geht er doch mit einer Reihe unerwünschter Nebeneffekte einher. „Dishinhibition“ bezeichnet einen psychologischen Zustand der Enthemmung, in dem wir unsere Selbstkontrolle (teilweise) aufgeben. Uns sonst auferlegte Regeltreue, Angepasstheit und Risikovermeidung lassen wir fallen und schaffen es so besser, wirklich kreative Ideen zu generieren und selbst zunächst abwegig scheinende Gedanken zu äußern. Dieser kreativitätsfördernde Effekt hat aber, so die Autoren auch eine Schattenseite, denn im Zustand von Disinhibition neigen wir auch eher zu Regelbrüchen, Lügen, Stehlen, größerer Aggression und riskantem Verhalten. Bisher ist der direkte Zusammenhang von Kreativität, Disinhibition und den aufgelisteten negativen Folgen allerdings noch kaum empirisch untersucht worden, weshalb die in der qualitativen Metastudie von Khessina, Goncalo und Krause angenommenen Wirkmechanismen durchaus vorsichtig zu bewerten sind.

Kreative Menschen verlangen häufiger eine Sonderbehandlung

Doch auch Studien, welche direkt besonders kreative Personen genauer in den Blick nahmen, stellten laut Khessina, Goncalo und Kraus einige Zusammenhänge fest, die für Unternehmen nicht unbedingt als erstrebenswert gelten dürften: Kreative gehen deutlich öfters in offene Auseinandersetzung mit ihren Kollegen und Menschen, die sich selbst als besonders kreativ einschätzten; stellen deutlich höhere Ansprüche an ihr Gehalt; verlangen öfters eine Sonderbehandlung im Unternehmen.

Weitere mögliche Risiken von Kreativität, die die Autoren in ihrer Meta-Studie entdeckten, sind: Das Risiko, dass die besten Ideen, gerade weil sie so kreativ und damit abweichend vom vorherrschenden Status Quo sind, aus Angst vor mit der Implementierung einhergehender Mehrarbeit nicht zur Weiterverfolgung ausgewählt werden. Mittelmäßige Kreativität hat damit oftmals mehr Chance, die Türen bis zu einer erfolgreichen Umsetzung geöffnet zu bekommen. Sowie das Risiko als Führungskraft, mit kreativen Ideen die eigene Karriere zu stoppen. So konnten zum Beispiel Müller, Gonalo und Kamdar (2011) zeigen, dass Mitarbeitern, die eine besonders kreative Idee vorstellten, von einem Feedbackboard weniger Führungsqualitäten zugesprochen wurden als solchen, die eher konventionelle, praktische Lösungsideen vorschlugen.

Gefühl der Erleichterung durch Kreativität

Selbstverständlich ist die Annahme, dass Kreativität und kreative Köpfe positive Effekte mit sich bringen, ebenfalls gut belegt und dies interessanterweise teilweise durch weitere Nebeneffekte der oben beschriebenen Disinhibition. Zum Beispiel kann die Arbeit an kreativen Aufgaben mit einem Gefühl der Erleichterung und Motivation einhergehen. Goncalo et al. (2015) zeigten in einem raffinierten Experiment, dass Versuchspersonen, denen zu Beginn der Untersuchung ein Geheimnis anvertraut wurde, im Nachgang so mit der Wahrung des Geheimnisses beschäftigt waren, dass sie weniger Motivation aufbringen konnten, einer Bitte nach Unterstützung (scheinbar bereits nach Ende des Experimentes) nachzukommen. Hatten die Personen jedoch die Möglichkeit vor der Bitte eine Kreativaufgabe zu erledigen, zeigten sie höhere Hilfsbereitschaft und berichteten über ein Gefühl von Erleichterung – ganz ohne das Geheimnis verraten zu haben. Interessanterweise konnte das Gefühl von Erleichterung und die größere Motivation komplett durch eine größere Disinhibition der kreativ Tätigen erklärt werden. Der vermeintliche Übeltäter hatte hier also sein Gutes!

Weitere positive Effekte kreativen Arbeitens, die in der Meta-Studie genannt werden sind unter anderem: Die Reduktion stereotypen Denkens, höhere Offenheit in kreativen Gruppen und damit einhergehend ein größerer Gruppenzusammenhalt und nicht zuletzt die Möglichkeit, auf wertvolle neue Ideen zu kommen, die der erste Schritt im Innovationsprozess und damit unerlässlich für produktive Neuerungen sind.

Ob es für Unternehmen die richtige Strategie ist, sich vermehrt kreative Zeitgenossen ins Unternehmen zu holen bzw. Kreativität zu fördern oder ob es besser ist, das Spinnen von Ideen auszulagern, wie dies bei vielen Organisationen aktuell durch die Ausgründung von Start-ups geschieht, kann also nicht klar beantwortet werden. Dass es sinnvoll ist, beim Thema Kreativität keine rosarote Brille aufzusetzen, sondern möglichen Risiken und Nebenwirkungen ins Gesicht zu blicken scheint jedoch auf der Hand zu liegen.

Quellen: