Krisen sind (k)eine Chance für Frauen mit Führungsambitionen

202205

Immer mehr Frauen in Deutschland übernehmen Führungspositionen. Ist die Gläserne Decke dabei, einzustürzen? Der Teufel liegt im Detail: denn es gibt Unterschiede in der Qualität der Positionen, die Männern und Frauen zugutekommen. Gerade in Krisen werden prekäre Führungspositionen oftmals weiblich besetzt – ein Phänomen, das als Gläserne Klippe bezeichnet wird. Woran könnte das liegen?

Von Hans Fiedler

Im März 2020, zu Beginn der ersten Corona-Welle, wurde Sophie Wilmès zur ersten Premierministerin Belgiens ernannt. Ihre Notfallregierung hatte die Aufgabe, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern. Wilmès ist nur ein Beispiel für Frauen, denen in Krisen der Sprung in eine hohe Führungsrolle gelang: Ähnliche Karrieren waren auch Marissa Mayer (CEO von Yahoo nach großen Marktverlusten) und Theresa May (Prime Minister des United Kingdom während des Brexits) „vergönnt“.

Herzliches Beileid, Sie sind eingestellt!

Der Umstand, dass Frauen vor allem in Krisen, in denen das Risiko des Scheiterns hoch ist, Führungsrollen etwa in Politik und Wirtschaft zuteilwerden, wird als Gläserne Klippe bezeichnet. Die Befundlage zu der Existenz des Phänomens ist jedoch nicht eindeutig. In einer Metaanalyse von Morgenroth et al. (2020) wurden daher Archiv- und Experimentaldaten näher untersucht, um herauszufinden, ob und unter welchen Bedingungen die Gläserne Klippe vorkommt und welche Mechanismen sie verursachen. Drei potenzielle Ursachen wurden betrachtet:

  1. Soziale und emotionale Fähigkeiten, die stereotypisch Frauen zugeschrieben werden, könnten als vorteilhaft im Krisenmanagement angesehen werden.
  2. Bei „sichtbaren“ Positionen kann die Besetzung durch eine Frau nach außen signalisieren, dass intern Veränderungen angestoßen wurden, um die Krise zu überwinden – vor allem, wenn sie vorher männlich besetzt war (Signaling Change-Theorie).
  3. Entscheidungsträger:innen mit Vorurteilen könnten sich für die Auswahl einer Frau aussprechen, da das Risiko zu scheitern für diese in Krisen besonders hoch ist.

Auch Minderheiten sind dem Risiko Gläserner Klippen ausgesetzt, ein Umstand, der in der Analyse berücksichtigt wird.

Komplexe Datenlage

Die Untersuchung konnte die Existenz Gläserner Klippen belegen: In Krisen werden Frauen und Minderheitenvertreter:innen als geeigneter für Führungsrollen eingeschätzt und häufiger für diese Positionen ausgewählt. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Daten keine Evidenz für Gläserne Klippen im Management und in Ländern mit ausgeprägter Geschlechtergleichheit, z. B. Deutschland, liefern.

Dass Minderheiten von Gläsernen Klippen betroffen sind, werten die Autorinnen als Indiz dafür, dass Vorurteile und der Wunsch, Veränderung zu signalisieren, zentrale Ursachen des Phänomens sind: Beide Mechanismen sind – im Gegensatz zum Einfluss geschlechtsspezifischer Stereotype –gleichermaßen für die Erklärung Gläserner Klippen bei Minderheiten geeignet. Besonders ausgeprägt war der Effekt dann, wenn die in der Krise weiblich besetzte Position vorher nicht weiblich besetzt war. Die Autorinnen liefern damit weitere Evidenz für die Signaling Change Theorie.

Besetzungsentscheidungen fundiert treffen

Die Gläserne Klippe ist real, scheint jedoch für Unternehmen in Deutschland von geringer Relevanz zu sein. Jedoch wird deutlich, wie differenziert die Bewertung der Chancengleichheit in Organisationen erfolgen muss: Gläserne Klippen suggerieren einen Erfolg auf dem Weg zu geschlechtsspezifischer Fairness, der keiner ist. Dies betont die Notwendigkeit von Besetzungsentscheidungen auf Basis von Methoden, die eine geschlechtsunabhängige Bewertung ermöglichen. Assessment Center, etwa unter Einsatz gemischtgeschlechtlicher Beobachtungsteams (Koch, D’Mello, & Sackett, 2014), konnten sich hier als besonders fair und valide erweisen (Thornton & Gibbons, 2009).

Quellen