Die Innovationskraft einer Organisation braucht (keine) proaktive(n) Mitarbeiter

BION_August 2019

Einfach mal machen. In der heutigen Zeit scheint dieser oder ähnliche Slogans immer öfter das Mantra von Organisationen jeglicher Branche zu sein. Nicht nur Startups zelebrieren damit in der Entwicklung neuer, marktverändernder Innovationen ihr Vorausgehen, ihr proaktives Handeln, ihre Initiative, die Dinge einfach mal zu verändern. Auch größere Organisationen oder Konzerne möchten an dieser neuen Bewegung des Innovierens und des Einfach-mal-machens teilhaben. Doch welchen Einfluss hat dieses Verhalten des proaktiven Handels und wie hängt es tatsächlich mit der Innovationskraft einer Organisation zusammen?

Von Christopher Kuhl 

Die Innovationsforschung hat uns in bisherigen Studien bereits gezeigt, wie wichtig die Innovationskraft, und die damit einhergehende Entwicklung von Innovationen, für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist (Ruttan, 1959; von Hippel, 1988; Brockhoff, 1987). Diese Innovationskraft spielt dabei nicht nur für wertschöpfungsrelevante Bereiche, sondern auch für Unterstützungsfunktionen, wie zum Beispiel Human Resources, eine wichtige Rolle. Nicht umsonst steigt die Relevanz von HR Innovationen, um in Zeiten des demographischen Wandels und der VUCA Welt mit anderen Unternehmen konkurrenzfähig zu bleiben. Entwicklungen wie der Einsatz modernerer digitaler Systeme zur Abbildung von HR Services, neue Ansätze in der Performance Messung und der Befähigung von Mitarbeitern oder die bewerberzentrierte Gestaltung von Recruiting-Prozessen und -Erlebnissen, sind hierfür nur einige Beispiele. Dabei werden in der Praxis zunehmend Erkenntnisse innovationsfördernder Rahmenbedingungen der Innovationsforschung berücksichtigt, um die Personalarbeit innovativ und kundenzentriert auszurichten, wie zum Beispiel die Implementierung eines Innovationsprozesses, die Entwicklung der Mitarbeiterkompetenzen oder die Veränderung der Unternehmenskultur. Die vorliegende Literatur zur Innovationsforschung bietet dabei bereits ausreichend Modelle mit strukturellen sowie prozessualen Beschreibungen, wie die Innovationskraft in der eigenen Organisation positiv beeinflusst werden kann.

Voraussetzungen für Proaktivität müssen gegeben sein

Unter der Perspektive „Der Mensch in der Innovationsentwicklung“ konzentrieren sich Lee et al. in ihrer Studie (2019) auf einen ganz anderen Aspekt und analysieren den Zusammenhang zwischen menschlichem Verhalten in Innovationsprozessen und dem Erfolg von Innovationsentwicklungen. Für ihre Untersuchungen in Form von zwei Multi-Level-Studien fokussieren sich Lee et al. speziell auf den Aspekt der Proaktivität, der „Einfach mal machen“- Mentalität, in Innovationsprozessen. Hierfür fassen die Autoren unter dem Begriff der Proaktivität Handlungen zusammen, die durch den Mitarbeiter selbst initiiert werden und sich auf Veränderungen konzentrieren. In ihren Untersuchungen finden sie heraus, dass die Proaktivität der Mitarbeiter in Innovationsprozessen einen positiven Effekt auf die Innovationskraft der Organisation hat. Sie untersuchen dafür den Zusammenhang von gezeigter Proaktivität der Mitarbeiter mit gruppenbasierten Kreativ- und Innovationsprozessen und können eine signifikant positive Korrelation nachweisen (β= .40, ∆R2= .13, p < .05). Vorangegangene Untersuchungen haben gezeigt, dass das proaktive Verhalten der Mitarbeiter besonders durch Faktoren wie gefühlte Verantwortung für wirksame Veränderungen, Vertrauen in das Management und role breadth self-efficiency gestärkt wird: die von Mitarbeitern wahrgenommene Möglichkeit, breitere und proaktivere Aufgaben bearbeiten zu können, die über die zuvor definierten Grundanforderungen hinausgehen (Parker, 1989). Weitere Faktoren wie transformationale Führung, Eigenschaften der Arbeit (wie Autonomie, Komplexität und Kontrolle) oder eine als positiv erlebte Arbeitsatmosphäre, dienen dabei als Voraussetzung für das Auftreten von Proaktivität (Lee et al., 2019). Die durch die Studie von Lee et al. nachgewiesene positive Korrelation zwischen Proaktivität und Innovationskraft bestätigt somit Proaktivität als positiven Treiber der Innovationskraft in der Organisation. Allerdings ist der Einsatz und die Förderung von Proaktivität mit Vorsicht zu genießen. Eine hohe gelebte Proaktivität von Mitarbeitern führt nicht in allen Fällen auch zu positiven Ergebnissen.

Neueste Untersuchungen von Reynolds Kueny et al. (2019) belegen, dass die unterstützende Wirkung von Proaktivität in Innovationsprozessen nur sichtbar wird, wenn der proaktive Mitarbeiter auch die entsprechenden Social Skills vorweist. Unter dem Begriff Social Skills fassen die Autoren die Fähigkeit zusammen, soziale Interaktionen effektiv lesen, verstehen und kontrollieren zu können. Ein Mitarbeiter mit einer hohen Ausprägung von Social Skills kann demnach zwischenmenschliche Situationen besser interpretieren, effektiv kommunizieren, positive Beziehungen zu Mitarbeitern aufbauen, in unerwarteten Situationen improvisieren und dabei situationsgerecht agieren. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Mitarbeiter mit einer geringen Ausprägung von Social Skills und einer starken Ausprägung von proaktivem Verhalten ihre eigenen Kollegen in Innovationsprozessen und dem Arbeitsumfeld abhängen und auf emotionaler Ebene „verlieren“ (Reynolds Kueny et al. 2019). Der proaktive Mitarbeiter löst in Folge Stress oder Frust bei seinen Kollegen aus und begünstigt damit eine negative Arbeitsatmosphäre, unter der auch er selbst leiden kann.

Für den Einsatz von Proaktivität zur positiven Unterstützung von Innovationsprozessen, ob im Bereich der kundenzentrierten Personalarbeit oder anderen Themen, können Faktoren für proaktives Verhalten nicht unabhängig von der Ausprägung der Social Skills eines Mitarbeiters betrachtet werden. Folglich erscheint es für die Ausrichtung eines Human Resource Management Systems im Rahmen der Unterstützung organisationaler Innovationskraft als erfolgskritisch, Social Skills, als auch Faktoren der Proaktivität, wie gefühlte Verantwortung für wirksame Veränderungen, role breadth self-efficiency und Vertrauen in das Management, zu fördern.

Quellen: