Macht macht (nicht) mächtiger

202012

Eine neutrale Auseinandersetzung mit dem Thema Macht in Organisationen ist zumindest in der Öffentlichkeit immer noch ein Tabu. Nicht zuletzt in der medialen Berichterstattung wird die Wahrnehmung von Managern geprägt, die ihre Macht missbrauchen und Entscheidungen treffen, die alleinig dem eigenen Machterhalt dienen (zum Beispiel Wirecard). Es scheint, als würden „die Mächtigen“ sich lediglich für den eigenen Erfolg einsetzen und immer mächtiger werden. Allerdings zeigt ein Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse ebenfalls, dass ein alleiniger Fokus auf die persönlichen Ziele zu Machtverlust führen kann. Doch was ist es genau, was zu Machtverlust bzw. Machterhalt in Unternehmen führt?

Von Johanna Matthes

Jedes kollektive Handeln in Organisationen ist von Macht geprägt (Crozier & Friedberg, 1979). Wenn wir Organisationen verstehen möchten, sollten wir uns also immer auch mit den Machtdynamiken in ihnen beschäftigen. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Macht sich erst in sozialer Interaktion entfaltet und somit auch veränderbar ist (ebd.). Macht wird definiert als Kontrolle über wertvolle Ressourcen und ist ein Prozess, der sich mit der Zeit entwickelt und die Dynamiken von Machtgewinn,- erhalt und -verlust beinhaltet (Anderson & Brion, 2014).

Diese Dynamiken werden sowohl in der Organisationsforschung, der Soziologie als auch der Psychologie seit über 50 Jahren untersucht. Cameron Anderson und Sebastien Brion (ebd.) fassten die Forschungsergebnisse mit Fokus auf psychologische und sozialpsychologische Faktoren zusammen, die Machtgewinn, -erhalt und -verlust bedingen. Sie gehen dabei insbesondere der Frage nach, unter welchen Bedingungen Menschen in Organisationen Macht gewinnen und verlieren und ob es wirklich ratsam ist, sich lediglich auf die eigenen Interessen zu konzentrieren, wenn man seine Macht innerhalb der Organisation sichern möchte.

Macht basiert auf realer oder von anderen wahrgenommener Kompetenz

Studien zeigen, dass echte Kompetenz oder demografische oder physische Faktoren, die dazu führen, dass die Person als kompetent wahrgenommen wird, die Position im Netzwerk sowie bestimmte Charaktereigenschaften (zum Beispiel Machtbedürfnis, Selbstkontrolle oder Dominanz) den Machtgewinn positiv beeinflussen.

Hat man sie einmal, führt Macht zu vielen Vorteilen innerhalb von Organisationen, die Individuen wiederum dazu befähigen, ihre Macht zu erhalten. Laut Forschung passiert das, unter anderem weil…
… Individuen in Organisationen einen Drang dazu haben, den Status Quo zu legitimieren.
…andere Organisationsmitglieder Machtinhabende positiver wahrnehmen als es ggf. der Realität entspricht.
…Macht als Stress-Puffer fungiert, was sowohl gesundheitliche Vorteile mit sich bringt als auch die Performance von Individuen erhöht.
…durch Macht die kognitive Performance verbessert wird, indem zum Beispiel die Fähigkeit, Ziele zu setzen und zu verfolgen, erhöht wird.
…Machtinhabende sich so verhalten, dass ihre Macht gesichert wird (zum Beispiel bestimmte Themen auf die Agenda setzen, Koalitionen bilden etc.).

Es zeigt sich also, dass Macht einen positiven Effekt darauf haben kann, sich selbst zu erhalten. Doch Macht ist nicht unumstößlich. Die folgenden Faktoren können zu Machtverlust führen:

  • Wettbewerb
  • Machtinhabende, die eine Mehrheit in der Organisation vertreten, sind zum Beispiel weniger in der Lage, verschiedene Perspektiven in ihr Denken zu integrieren
  • Einer Minderheit angehören oder weiblich sein
  • Unethisches Verhalten, da Macht zum Beispiel einen negativen Effekt auf Empathie, Fairness und Gerechtigkeitssinn hat
  • Voreingenommenheit in Entscheidungssituationen – da Machtinhabende dazu tendieren, entscheidungskonsistente Informationen und subjektive Wahrnehmung zu bevorzugen
  • Überheblichkeit und Selbstüberschätzung
  • Fehleinschätzung sozialer Beziehungen (zum Beispiel Überschätzung, wie stark Menschen im Netzwerk wirklich Verbündete sind)

Es kommt auf den Umgang mit der Macht an

Die Forschungsergebnisse können durchaus verwirren. Macht kann sowohl die Konsequenz haben, sich selbst zu erhalten als auch zu zerstören.

Eine wichtig Determinante, die entscheidet, ob Machtinhabende ihre Macht behalten oder verlieren, ist, wie stark sie ihr Verhalten auf Eigeninteressen oder auf Gruppeninteressen ausrichten. Keltner et. al (2008) haben auf Basis ihrer Forschung das „reciprocal influence model of social power” entwickelt, welches zeigt, dass diejenigen Macht erhalten, die Gruppeninteressen in den Vordergrund stellen. Es hat einen positiven Effekt auf den Machterhalt, wenn Individuen aus sozialen Gründen Macht erlangen wollen (und nicht allein um ihrer selbst willen) sowie eine Persönlichkeit haben, mit der sie prosoziales Verhalten zugunsten der Gruppeninteressen fördern können und wollen.

Machterhalt durch prosoziales Verhalten

Was bedeutet das für managende Funktionen in Organisationen?

  • Zum einen sollten sie – um Macht zu erlangen – die Kontrolle über kritische Ressourcen gewinnen, indem sie zum Beispiel entsprechendes Wissen oder Expertise erlangen bzw. stärker darauf aufmerksam machen, dieses bereits zu besitzen
  • Sie sollten ihr Netzwerk ausbauen.
  • Sie sollten sich weiterhin mit ihrer Macht identifizieren und dies auch in ihrem Auftreten ausstrahlen – damit signalisieren sie, dass sie die richtigen in ihrer Position sind.
  • Sie sollten immer wieder selbstkritisch ihre Entscheidungen hinterfragen, um Voreingenommenheit und unethisches Verhalten zu verhindern.
  • Und sie sollten die Interessen ihrer Mitarbeitenden vertreten, um langfristig ihre Macht auszubauen. Dazu gehört, andere Menschen in der Organisation zu fördern sowie kollektives und gruppenorientiertes Verhalten innerhalb der Organisation zu belohnen.

Es zeigt sich also, dass Macht die unterdrückt und nur auf Einzelinteressen ausgerichtet ist, nicht nur Nachteile für die Untergebenen, sondern auch die Machtinhabenden haben kann. Somit ist die erstrebenswerteste Art von Macht diejenige, die der Philosoph Byung-Chul Han (2005) die „freie Macht“ nennt. Wenn nämlich Andere dem Machtinhabenden freiwillig folgen, weil dieser kollektive Interessen vertritt und „Freiheit und Unterwerfung ganz zusammenfallen“ (ebd.).

Quellen: