Mitarbeitern herausfordernde Ziele zu setzen, ist (nicht) immer hilfreich

BION_Ziele

In allen Phasen und Bereichen des Lebens definieren und verfolgen Menschen Ziele; als Individuum und Kollektiv. Diese Ziele werden selbst gesetzt, vereinbart oder diktiert. Im beruflichen Kontext geben sie Orientierung und helfen, Entscheidungen zu treffen. Doch wie hilfreich sind Ziele eigentlich in der VUCA-Welt? Gibt es Situationen und Bedingungen, unter denen sie negative sowie nicht intendierte Effekte auf Mitarbeiter und organisationale Prozesse haben können?

Von Marius Beck

Seit Jahrzehnten wird das Setzen von Zielen und Zielvereinbarungen als zentraler Mechanismus in der Motivation von Mitarbeitern und dem Leistungsmanagement erachtet. Nach der Zielsetzungstheorie der Aufgabenmotivation und -leistung (Locke & Latham 1990; 2002) haben Ziele mit zunehmender Schwierigkeit und Spezifizität der Aufgaben motivations- und leistungsfördernde Effekte, die wiederum zu besseren Leistungen führen. Diese Zielschwierigkeits- und Zielspezifitätseffekte konnten bei Einzelpersonen, Gruppen, in Versuchen, Feldexperimenten, bei diversen Aufgabentypen und in verschiedenen Kulturkreisen nachgewiesen werden (O´leary-kelly, Martocchio, & Dwight, 2017; Wegge, 2004). Auf Grund dieser umfassenden empirischen Evidenz gelten spezifische und herausfordernde Ziele als Treiber aufgabenbezogener Leistung.

Nicht intendierte Effekte berücksichtigen

Dennoch sollten Unternehmen die Methodik der Zielsetzung sowie den Grad der Herausforderung und Spezifizität sowie mögliche, nicht intendierte Effekte berücksichtigen und evaluieren. Der Grund dafür liegt in deren möglichem Einfluss auf die in der VUCA-Welt so wichtigen Aspekte wie beispielsweise das Lernen, die Zusammenarbeit und die Agilität. So gibt es Evidenz, die belegt, dass eine Person, die sich auf ein Leistungsziel fokussiert, weniger dazu neigt, neue Lösungsansätze und Methoden auszuprobieren und zu entwickeln, die ihr helfen würden, die Aufgabe zu erfüllen (Locke & Latham, 2002). Dies gilt insbesondere dann, wenn Personen sich mit komplexen Aufgaben konfrontiert sehen, was in der heutigen Unternehmensumwelt immer öfter der Fall ist. So erlernten Fluglotsen in einem Experiment mit Leistungszielen in einer Simulation Fähigkeiten nicht in dem Maße wie Fluglotsen ohne Leistungsziele (Locke & Latham, 2002).

Ziele lenken Verhalten, vor allem wenn sie mit Vergütung verknüpft werden

Hinsichtlich des Themas Zusammenarbeit ist interessant, dass die Fokussierung auf das Erreichen von Zielen auch zu dem entsprechenden Verhalten führt, und dass Verhalten, das für die Zielerreichung irrelevant ist, auch weniger gezeigt wird. In einem Experiment von Wright, George, Farnsworth und McMahan (1993) beispielsweise, halfen Teilnehmer Kollegen seltener, wenn sie selbst herausfordernde Ziele zu erreichen hatten. Ausgeprägter noch war dieses Verhalten im Übrigen, wenn die Teilnehmer auf Basis der Zielerreichung bezahlt wurden. Negative Effekte können Ziele auch auf die für Unternehmen so wichtige intrinsische Motivation der Mitarbeiter haben, also auf den Willen, eine Aufgabe um ihrer selbst willen zu übernehmen. Zwar wird dieser Verdrängungseffekt im Allgemeinen mit Ent- und Belohnung assoziiert, er gilt jedoch ebenso für die damit verbundenen Ziele selbst (Heyman & Dweck, 1992).

Die Selbstwirksamkeit und damit unter anderem das Engagement und die Anstrengung, können beeinträchtigt werden, wenn Mitarbeiter Ziele verfehlen oder zu stark gefordert werden. So schnitten Probanden mit entsprechenden Zielen in einem Experiment von Mussweiler und Strack (2000) in einem Konzentrations- und Intelligenztest zwar besser ab, stellten aber teilweise ihre allgemeine Intelligenz und Aufmerksamkeitsfähigkeit in Frage, was ihre wahrgenommene Selbstwirksamkeit verringerte.

Wie die Zielsetzung abläuft, ist entscheidend

Eine andere Quelle für negative, nicht intendierte Effekte, ist neben dem Inhalt und der Ausgestaltung, die Wechselwirkung von Zielsetzungsmethoden und organisationalen Abläufen. Klassische Ansätze wie das Management by Objectives oder das Steuern anhand von Key Performance Indicators basieren häufig auf einem Wasserfall-Prinzip, bei dem Ziele top-down und in einem jährlichen Turnus bestimmt und kommuniziert werden. Dies kann zu Rigidität führen, was Unternehmen daran hindert, schnell und adäquat auf Veränderungen in deren Umwelt zu reagieren bzw. dazu, dass Ziele in Vergessenheit geraten. Diesbezüglich und auch um die intrinsische Motivation zu stärken, ist die Art der Zielsetzung entscheidend. Für die Motivation förderlicher ist es, wenn Mitarbeiter in den Prozess eingebunden sind und sich dadurch stärker mit den Zielen identifizieren, worauf auch neuere Methoden wie „Objectives and Key Results“ abzielen (Doerr, 2018). Bei diesen ist ebenfalls die Frequenz der Zielvereinbarung häufiger als einmal im Jahr, was gerade in der VUCA-Welt zu einer notwendigen Flexibilität führt.

Der Frage, wie spezifisch und herausfordernd Ziele gesetzt werden, muss heute also nach wie vor große Aufmerksamkeit und Sorgfalt beigemessen werden und Zielvereinbarungen bergen allgemein das Risiko, nicht immer hilfreich zu sein.

Quellen: