Online-Persönlichkeitstests verbessern das Recruiting (nicht)

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In der Personalauswahl verlassen sich Unternehmen immer häufiger auf Algorithmen. Doch bei aller Effizienz ist auch Vorsicht geboten.

Kaum ein Bereich in HR ist so stark durch die Digitalisierung verändert worden wie das Recruiting. So ziemlich alles steht seit knapp 20 Jahren Kopf. Ein Blick in den Stellenmarkt der FAZ reicht, um einen Eindruck zu gewinnen: Während 2011 im Schnitt noch knapp 16 Seiten pro Tag Stellenanzeigen geschaltet wurden, waren es im Jahre 2015 noch knapp 2,5.

Das Recruiting-Portal ist mittlerweile die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Bewerber geworden. Neben einer sich rasant entwickelnden Technik in diesem Bereich gab es in den vergangenen Jahren auch eine Veränderung in Bezug auf die Anforderungen an das Recruiting: Während 2007 beispielsweise 20 Prozent der größten deutschen Unternehmen im Rahmen des Auswahlverfahrens Tests durchführten, waren es 2015 schon 75 Prozent (Hossiep, R., Schecke, J., & Weiß, S.; 2015).

Das Nutzenversprechen wissenschaftlich fundierter Testverfahren ist für Unternehmen groß. Laut DIN 33430 gehören vor allem dazu:

  •  die zwei Hauptfehler auf diesem Gebiet zu vermeiden: Einstellung der Falschen und Abweisen der Richtigen,
  • den Abbruch von Ausbildungen zu verhindern, soweit er das Resultat einer falschen Auswahl ist…“

Es lässt sich heute beobachten, dass psychologische Tests immer häufiger in Recruiting-Portale integriert werden. Online-Persönlichkeitstests versprechen Effizienz und Abhilfe für viele Probleme. Gestützt wird dieser Ansatz von wissenschaftlichen Koryphen wie Daniel Kahneman. Er hat zum Beispiel sehr deutlich gemacht, dass Menschen zu Fehlentscheidungen neigen, da sie nicht über ein ausgeprägtes statistisches Denken verfügen (vgl. Kahneman, D., 2012) und es somit nur logisch ist, sich technischer Hilfsmittel zu bedienen, damit man diesen Fehlentscheidungen vorbeugt.

Doch was im Grundsatz richtig sein mag, birgt dennoch Gefahren:

  1. Zum einen haben die allermeisten Persönlichkeitstests nicht die nötige wissenschaftliche Validität (vgl. u.a.: Hossiep, R., Schecke, J., & Weiß, S.; 2015).
  2. Die meisten Testverfahren werden ausgewählt, weil sie akzeptiert sind und nicht weil sie eine hohe Validität aufweisen (vgl. O’Neil, C.; 2016).
  3. Die Anbieter von Softwarelösungen haben Eigenlösungen (vgl. u.a. Kronos, softgarden), die Daten auswerten und sich einer Fülle von Informationsquellen bedienen können. Ein Algorithmus wertet die Daten aus und bereitet den Datensatz auf. Wie dieser arbeitet, ist unklar.
  4. Es gibt (kaum) Nachevaluationen.

Das Ergebnis eines solchen Vorgehens ist nicht etwa die versprochene Effizienz (Schnelligkeit), eine hohe Passgenauigkeit und eine optimale Passung, sondern das Gegenteil und mit hoher Wahrscheinlichkeit Ungerechtigkeit. Warum ist das so?

Die wichtigsten Gründe sind:

  1. Häufig ist schwer nachzuvollziehen, wonach das Programm wirklich sucht. Das git sowohl für Recruiter als auch Bewerber, die naturgemäß den Algorithmus nicht geschrieben haben.
  2. Das Unternehmen wird potenzieller Kandidaten beraubt. So konnte bei einer großangelegten Studie über die Verweildauer in Unternehmen herausgefunden werden, dass die Mitarbeiter, die „wissbegierig“ sind, weniger lang im Unternehmen bleiben, als jene, die sich selbst als „kreative Typen“ eingeordnet haben (vgl. Xerox Studie, zitiert nach O’Neil, C.; 2016 ).
  3. Soziale Ungerechtigkeit droht, weil zum Beispiel der Arbeitsweg als Kriterium über die Verweildauer im Unternehmen eben jene ausschließen könnte, die lange Wege in die Zentren der Stadt haben. In den Randgebieten wohnen Menschen, die tendenziell keine hohen Mieten zahlen können.

Schon diese Argumente zeigen, dass ein differenzierter Umgang mit der Fragestellung geboten ist. Gerade in VUCA-Zeiten sind Kompetenzen gefragt, die schwer durch standarisierte Testverfahren zu identifizieren sind. Zu nennen wären beispielsweise Kundensicht, Co-Creation usw. (vgl. Ritz, A., & Thom, N. (Eds.), 2018).

Es stellt sich die Frage: Was tun, wenn die eine Seite Standards fordert und fördert und die Evidenz hinsichtlich der tatsächlichen Durchführungen scheinbar dagegen spricht. Die Lösung liegt in der Art der Herangehensweise: Es geht um Augenhöhe, um Empathie und Diplomatie und um wissenschaftliche fundierte Methoden (vgl. Babka S., 2016; Schuler, H., 2014).

Die genutzten Auswahlkriterien müssen wissenschaftlich fundiert sein und dürfen sich nicht nach der von Softwarekonzernen selbstdefinierten Akzeptanz der User richten. Ein möglicher Ansatz für diplomatische Kommunikation stellen die Social-Media-Kanäle dar (vgl. Babka S., 2016). Empathie wäre im Bewerbungsgespräch angebracht. Das fordert Umdenken: HR ist aufgefordert, seine Bewerber und sein Unternehmen ernst zu nehmen und diese auch vor fragwürdigen Algorithmen zu schützen.

Quellen: