Pragmatiker:innen sind (nicht) die besseren Krisenmanager:innen

202108

Die Frage, welcher Führungsstil und welches damit verbundene Führungsverhalten das effektivste ist, beschäftigt die Forschung seit vielen Jahrzehnten. Dabei lässt sich feststellen, dass sich sowohl die Form als auch die Erwartung an Führung über die Zeit immer weiter und immer wieder verändert haben. Allein das „Stufenmodell der Führung“ nach Hofert (2016) zählt sechs unterschiedliche Führungsansätze auf, die sich über die Jahrhunderte identifizieren lassen und heute noch mehr oder weniger Anwendung finden.

Von Friederike Theurer und Carsten Sura

Die Identifizierung des effizientesten Führungsstils ist jedoch kein einfaches Unterfangen. So zeigen sich die Auswirkungen von Führung unter Umständen erst nach vielen Jahren. Außerdem wirken viele unterschiedliche Faktoren auf die Führungsarbeit und deren Ergebnisse ein, was es erschwert, die genauen Ursache- und Wirkungszusammenhänge korrekt herauszuarbeiten.

Führungskräfte-Vergleich während der Pandemie

In einer aktuellen Studie (Crayne, M. et al, 2020) aus dem August 2020 wurde mit Blick auf die COVID-19-Pandemie untersucht, welcher Führungsstil in einer Krise zu den besseren Ergebnissen führt. Der Untersuchung wurde das CIP-Model of Leadership (Mumford, M. D., 2006) zugrunde gelegt, welches zwischen einem charismatischen, ideologischen sowie pragmatischen Führungsstil unterscheidet, und seit seiner Veröffentlichung in einer Vielzahl von Studien untersucht wird (Hunter, S.T., et al, 2011). In der Studie wurde zunächst der Führungsstil der Regierungschefs von Kanada, Brasilien und Deutschland mittels des CIP-Modells untersucht. Im Ergebnis konnte Justin Trudeau ein charismatischer, Jair Bolsonaro ein ideologischer sowie Angela Merkel ein pragmatischer Führungsstil zugeordnet werden. Gleichzeitig wurden die Ergebnisse der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in den einzelnen Ländern miteinander verglichen.

Charismatisch, ideologisch, pragmatisch

Das CIP-Modell geht zunächst davon aus, dass alle drei Führungsstile zu ähnlich leistungsstarken Endzuständen führen (Griffith, J., et al, 2015). Unterschieden werden die einzelnen Stile unter anderem anhand der Art und Weise der Sinnvermittlung, der Erfahrungsbeispiele, die für die jeweilige Argumentation genutzt sowie der Ursachen, die für eine (aktuelle) Herausforderung ausgemacht werden. So kreiert der charismatische Stil eher eine Zukunftsvision, schmückt diese mit verheißungsvollen Positivbeispielen aus und zeigt auf, dass es an den Menschen und deren Handeln liegt, wenn dieses Ziel erreicht werden soll. Der ideologische Stil dagegen ist stärker vergangenheitsorientiert und glorifiziert diese vermeintlich bessere Zeit. Dafür nutzt er vorwiegend negative Erfahrungen und Beispiele in der Argumentation. Die Umstände sieht er als ursächlich für die aktuelle Situation. Die pragmatische Führung fokussiert sich überwiegend auf das Hier und Jetzt sowie die aktuell anstehende Problemlösung. Dabei werden in der Argumentation positive wie negative Beispiele und Erfahrungen genutzt. Die Begründung für eine Situation wird sowohl in den Personen als auch in den Umständen gesehen (Bedell-Aders, K. et al, 2009).

Sinnvermittlung und aktuelle Bedürfnislage

Die hier diskutierte Studie kommt zu dem Schluss, dass – gemessen an der Zahl der Infizierten sowie der Opfer – der pragmatische Führungsstil, mit seiner entsprechenden Art der Sinnvermittlung, die besten Erfolge erzielen konnte. Ein Grund dafür wird in der Passung zwischen pragmatischer Sinnvermittlung und den Bedürfnissen, die es in der COVID-19-Krise bis dato brauchte, vermutet.

Wenn sich in der nun bald endenden 16-jährigen Regierungszeit von Angela Merkel eins beobachtet ließ, dann war es häufig diese pragmatische Passung einer Entscheidung mit dem Moment, in dem sie getroffen wurde – mit weniger Blick zurück oder nach vorn. Ein Umstand, der ihr viel Kritik wie Respekt einbrachte, und dessen Resultate in der Gesamtheit anderweitig bewertet werden müssten.

So weist auch die genannte Studie (Crayne, M. et al, 2020) darauf hin, dass das ermittelte Ergebnis nicht verallgemeinert werden kann und damit einer pragmatischen Führung im Krisenfall stets der Vorzug zu geben ist. Denn die Effektivität von Führung wird im CIP-Model von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, unter anderem der Nähe beziehungsweise Distanz zwischen der Führungsperson und dessen Anhänger:innen (Griffith, J.A. et al, 2018). Es bedarf demnach weiterer Forschung, um herauszuarbeiten, ob ein bestimmter Führungsstil tatsächlich bessere Krisenmanager:innen hervorbringt.

Quellen: