Talent Management steigert den Output der High Potentials (nicht)

Unternehmen, die mehr in Talent Management investieren, erzielen bessere Ergebnisse. Diese eher als makroökonomisch zu bezeichnende Korrelation ist bereits durch mehrere Studien belegt worden (Bethke-Langenegger et al., 2011).

In interessanten, neuen Studien wurde nun versucht zu erklären, welche Effekte auf der Mikroebene aus Talent Management Programmen resultieren. Insbesondere die Differenzierung von Talenten in verschiedene Gruppen und die wahrgenommene Fairness, in Bezug auf das Ergebnis dieser Differenzierung als auch in Bezug auf die Fairness der angewendeten Tools und Prozesse, und deren Auswirkungen auf Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter war Gegenstand der Analyse „Talent management and organisational justice: employee reactions to high potential indentification“ einer Forschergruppe der Universitäten Leuven und Brüssel (Gelens et al., 2014).

Die Studie „Linking high performance organizational culture and talent management: satisfaction/motivation and organizational commitment as mediators“ von Kontoghiorghes (2015) untersucht den Einfluss einer high performance Organisationskultur auf die Effektivität des Talent Management sowie auf individuelle Zufriedenheit und Motivation der Talente. Den Untersuchungsgegenstand bildeten hierbei zwei High Performance Organisationen unterschiedlicher Branchen und aus verschiedenen Ländern, die jedoch beide über einen hohen Grad an Veränderungsbereitschaft, Qualitätsmanagement, Wissen, Wachstum, Ethik und Entwicklungsmöglichkeiten verfügen.

Mit der durchgeführten Studie bestätigt sie alle aufgestellten Hypothesen, denen zufolge sich eine High Performance-Kultur stark fördernd auf die einzelnen Talente, als auch auf die Effektivität des Talent Management (gemessen an der Fähigkeit, Talente anziehen und binden zu können) auswirkt. Fazit daraus ist, dass insbesondere eine „change-driven culture“ durch deutlich bessere Entwicklungsperspektiven von Talent sehr wertgeschätzt wird. Respekt und Integrität sind die stärksten Treiber für Motivation und Zufriedenheit der Talente, dies führt zu Organisationalem Commitment, was dann wiederum die Effektivität des Talent Management fördert.

Die Studie von Gelens et al. zeigt den Einfluss der Identifizierung als high potential auf die Job Zufriedenheit und den Arbeitseinsatz der Mitarbeiter. Die Analyse stützt sich auf die Annahme, dass Management-Maßnahmen mit subjektiven Wahrnehmungen sowie Reaktionen beim Individuum verbunden sind und Individuen stets so viel geben wie sie selbst auch erhalten (Social Exchange Theory, Blau 1964).

Den Ergebnissen zufolge steigert die Identifizierung als High Potential die Arbeitszufriedenheit und Motivation eines Mitarbeiters. Ein positiver Effekt – aber nur solange die Kehrseite der Medaille, nämlich die Unzufriedenheit der Non High Potentials, unberücksichtigt bleibt. Zudem zeigt das Ergebnis: Der direkte Zusammenhang hat ein verschwindend geringes Signifikanzniveau, erst über die moderierende Variable „wahrgenommene Gerechtigkeit der Verteilung“ lässt sich ein starker Zusammenhang zeigen. Die Forscher fassen deutlich zusammen: der direkte Effekt der Einordnung als Senior High Potential auf die Zufriedenheit ist marginal. Die identifizierten Talente aber achten sehr genau darauf, ob die Selektion in ihrer Wahrnehmung gerecht ist. Ist dies der Fall, zeigen sie deutlich höhere Zufriedenheitswerte. Auf die Leistungsbereitschaft hingegen hat die Gerechtigkeit der Selektion nur dann signifikanten Einfluss, wenn zudem der Prozess als sehr fair eingestuft wird. Schon bei nur durchschnittlichen Bewertungen der Prozess-Fairness ist kein signifikanter Unterschied zwischen Potenzialträgern und sonstigen Mitarbeitern mehr nachweisbar.

Beide Studien zeigen, dass eine faire, respektvolle, veränderungsorientierte Unternehmens- und Leistungskultur, die insbesondere Respekt und Integrität ausdrückt, stärkeren Einfluss auf Zufriedenheit, Motivation und Leistungsbereitschaft haben, als elaborierte Talent Prozesse und Klassifizierungen in Talent Kategorien. Die Effektivität des Talent Management lebt vom Commitment der Talente, dieses wird über Kultur gefördert, nicht über Talent Tools.

Es wird deutlich herausgestellt, dass Talent Management eben keinen objektiven Prozess darstellt, sondern eine subjektive soziale Intervention, deren Erfolg insbesondere im Falle der „workforce differentiation“ maßgeblich abhängig ist von der wahrgenommenen Fairness des Prozesses und des Ergebnisses.

Die Untersuchungen schärfen unseren Blick für vernachlässigte, jedoch wesentliche Stellenhebel eines nachhaltigen Talent Managements:
Als Ergebnis des Prozesses sollte nicht lediglich ein Portfolio, wie etwas die klassische 9-Box Grid, präsentiert werden. Die schematische, scheinbar objektive Einsortierung in Talent-Kategorien bietet kaum Mehrwert im Sinne einer Steigerung von Motivation und Arbeitseinsatz.

Ein effektives Talent Management sollte aus unserer Sicht insbesondere folgenden Fokus setzen:

  • Intensive Beschäftigung seitens HR mit den Unternehmens(bereichs)strategien und Ableitung eines differenzierten Zielbildes der Belegschaft
  • Bildung einer förderlichen Organisationskultur, die jene Talente anzieht und bindet, die auf dieses Zielbild einzahlen
  • Ausrichtung der Tools und Prozesse an den Bedarfen der Betroffenen: Mit Employee Experience Design Methoden lässt sich das Kundenerlebnis der Anwendung von HR-Tools steigern und die Akzeptanz absichern

Quellen