Zeit ist nicht gleich Geld – wann Time-Management (kontra)produktiv ist

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Der Druck auf Unternehmen die Ressource Zeit möglichst wertschöpfend einzusetzen, steht in einem Spannungsfeld zwischen Wohlbefinden und Produktivität.

Als der Verhaltensökonom Richard Thaler Anfang Oktober den Nobelpreis für Wissenschaft entgegennahm, sagte er süffisant er würde das Preisgeld „so irrational wie möglich“ ausgeben wollen (Appelbaum, 2017). Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, wie wenig Oeconomicus tatsächlich im Homo steckt und auch im Umgang mit unserer wohl wertvollsten Ressource, der Zeit, sind wir zuweilen fürchterlich irrational.

Gerade in Zeiten von Digitalisierung, flexibler Arbeit und permanenter Gleichzeitigkeit beobachten wir eine zunehmende Notwendigkeit, Zeit sinnvoll einzuteilen, zu planen und zu messen. Viele Unternehmen greifen dabei auf eine unüberschaubare Anzahl von Maßnahmen, Trainings, oder Tools zurück, um die teuer Erworbene Ressource Zeit ihres Personals wertschöpfend zu rationieren – mit sehr gemischten Resultaten. Themen wie Stress, Effektivitätsdruck, Work-Life-Balance und Flexibilisierung von Arbeitszeiten eröffnen dabei ein Spannungsfeld zwischen Wohlbefinden und Produktivität der Mitarbeiter. Möchten Mitarbeiter, dass ihre Zeit minutiös erfasst wird? Passen individuelle Präferenzen der Zeiteinteilung zu der Arbeitsweise von Teams? Welche Normen braucht ein Unternehmen, um diesen Spannungsfeldern gerecht zu werden? Individuelle Präferenzen treffen auf Teamarbeit unter organisationalen Rahmenbedingungen, in einer sich stark verändernden Arbeitswelt.

Die Wissenschaft zeigt: Ob Time-Management erfolgreich ist, hängt maßgeblich vom Kontext ab

Eine Vielfalt von Ansätzen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen versucht sich dem Problem des Time-Managements zu nähern und entsprechende Methoden zu erdenken, Menschen zu besseren Zeitmanagern zu befähigen. Die sehr durchwachsenen Ergebnisse haben Brad Aeon und Herman Aguinis (2017) jüngst in einem Literatur-Review zusammengetragen. Die beiden Autoren führen gut validierte Forschung aus den Disziplinen Soziologie, Psychologie und Verhaltensökonomik hinsichtlich des Wirkzusammenhangs zwischen Time-Management und gewünschten organisationalen Ergebnissen wie Wohlbefinden und Produktivität zusammen.

Hat Time-Management überhaupt einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter? Einige Befunde zeigen einen positiven Zusammenhang mit kleiner bis mittlerer Effektstärke zwischen verstärktem Time-Management und Sinnempfinden, Selbstwertgefühl, Job-Zufriedenheit, reduziertem Stressgefühl und verbesserter psychischer Gesundheit (Aeon, & Aguinis, 2017). Ungeklärt bleibt allerdings die Frage der Kausalität und einige Autoren legen sogar eine umgekehrte Wirkung nahe, dass Menschen mit hohem Wohlbefinden generell besser ihre Zeit managen können. Noch deutlich ambivalenter sind die Befunde bezüglich Produktivität, denn der postulierte Zusammenhang, besseres Zeitmanagement ergebe gleich mehr Qualität und Quantität konnte bisher nicht bestätigt werden. Eine interne Studie bei Intel (Stone, 2008) zeigte sogar einen inversen Einfluss: Nachdem eine Gruppe von 300 Software-Ingenieuren konsequent Dienstagmorgen für 4 Stunden ihre E-Mail-Postfächer und Telefone abstellten und „Bitte-nicht-stören-Schilder“ an die Bürotüren heftete, um ungestörter Einzelarbeit nachgehen zu können, sank deren Leistung drastisch ab. Ein ganz ähnlicher Effekt zeigte sich mit deutschen Studierenden der Universität Konstanz (Käser, Fischbacher, & König, 2013). Betrachtet man das Time-Management im Kontext der Unternehmenskultur und den gewohnten Arbeitsprozessen, finden sich valide Erklärungen für dieses Phänomen: In einer Organisation, in der gemeinsames Problemlösen und Teamarbeit fundamentaler Bestanteil des Zusammenhalts sind, kann eine Hinwendung zur individuellen Arbeit kontraproduktiv wirken. Zunächst weil keine individuellen Muster für individuelle Problemlösungen verfügbar sein mögen, aber auch weil die dramatische Umstellung auf Einzelarbeit nicht zu den geläufigen Arbeitsprozessen passt und daher mitunter unvorbereitet oder fehlplatziert durchgeführt würde. Sowohl die Ingenieure als auch die Studenten waren nicht in der Lage, ihre Arbeit ohne die Hilfe von Kollegen zu bewältigen, beziehungsweise kollidierten die selbstverordneten Einzelarbeitszeiten zu fixen Uhrzeiten mit der Realität des Arbeitsumfeldes. Zeitmanagement verfehlte also hier die intendierte Wirkung, weil das organisationale System zunächst weniger Freiheitsgrade in der Gestaltung von Abfolge und Modus der Zusammenarbeit bot als benötigt wurden. Insgesamt zeigte sich, dass es keine „one-size-fits-all“ Ansatz im Time-Management gibt und das Kontrollieren und Steuern von individueller Zeit im Kontext der Arbeitsprozesse beachten werden muss.

Für Entscheider empfiehlt es sich Time-Management im Zusammenhang von individuellen Unterschieden, Kultur und Prozessen zu betrachten

Dennoch gibt es einige Erkenntnisse, die Entscheider in Bezug auf Zeitmanagement beachten sollten.

Erstens sollten individuelle Unterschiede hinsichtlich der Präferenz von Arbeitsweisen berücksichtigt werden. Menschen bevorzugen beispielsweise unterschiedliche Ausprägungen in der Strukturiertheit von Zeit. So sollten Time-Management-Initiativen den Mitarbeitern genügend Autonomie bei der Gestaltung einräumen, um zum Beispiel Kreativität nicht im Keim zu ersticken (Zampetakis, Bouranta, & Moustakis, 2010). Beim Einführen von Time-Management-Praktiken ist daher zu beachten, dass Mitarbeitern genügend individuelle Freiheit in der Strukturierung gegeben wird.

Zweitens sollte bei zunehmender Strukturierung von Arbeit auf eine Passung mit den Arbeitsprozessen der Organisation insgesamt geachtet werden. Eine Balance zwischen individuellen Freiheitsgraden in der Ausgestaltung, sowie eine geteilte Vorstellung und Handlungsweise über Abläufe sollte hergestellt werden. Für Personalentwicklungsmaßnahmen bedeutet dies, dass bei Time-Management-Trainings stets zu hinterfragen ist, inwieweit der Mitarbeiter autonome Arbeitsgestaltung im Kontext mit Teamarbeit vornehmen kann.

Und schließlich sollte auf kultureller Ebene das Werte- und Normsystem bezüglich der Verwendung von Zeit beachtet werden: Viele Unternehmen funktionieren mit einer ausgeprägten „Anwesenheitskultur“, in der Erfolg gleich langer Arbeitszeit entspricht. Effektives Zeitmanagement und ein früher Feierabend wären daher, ob der Normverletzung, nicht wünschenswert, oder gar hinderlich. Die Diskussion um verschiedene Ansätze im Time-Management ist daher letztlich eine Debatte um New Work und den Modus der Zusammenarbeit. Bei organisationalen Effizienzprogrammen, beispielsweise dem Einführen von Zeiterfassungstools, ist daher eingangs zu diskutieren, welche Ausprägung Zusammenarbeit und Produktivität haben. Mit zunehmender individueller Zeitgestaltung sollten Ergebnisse und weniger Anwesenheit in den Fokus rücken. Es empfiehlt sich daher Kulturarbeit, um von einer „Anwesenheitskultur“ zu einer „Ergebniskultur“ zu kommen.

Quellen: