Die Corona-Beschränkungen lockern sich und damit ist auch das Arbeiten im Homeoffice nicht mehr zwingend. Mehr und mehr Führungskräfte wollen ihre Mitarbeitenden deshalb gerne wieder im Büro sehen. Doch bei denen hält sich die Begeisterung für die Präsenz in Vollzeit in Grenzen. Viele fragen sich, welchen Zweck es hat, etwas im Büro zu erledigen, was man genauso gut zuhause schaffen kann. Nötig scheint eine neue Vereinbarung: Für welche Art der Aufgabe brauchen wir eigentlich welchen Ort?

Von Matthias Meifert

Mitte März ging alles ganz schnell. Angesichts galoppierenden Infektionszahlen und klaren administrativ-politischen Vorgaben, haben alle Arbeitgeber, die konnten, ihre Mitarbeitenden nach Hause geschickt. Eilig wurden digitale Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen und die Zusammenarbeit auf Abstand geübt. Das klappte meist so gut, dass rund drei Monate später sich die Ambitionen, wieder in den Betrieb zu kommen, in Grenzen hält.

Natürlich sind einige froh, dem asymmetrischen Stundenplan der Kinder, dem Home Schooling, der Enge der Wohnung oder einfach der Familie einmal zu entfliehen. Wiederum andere freuen sich auf den Kontakt mit den Kollegen bzw. Kolleginnen, denn zu Hause war es schon recht einsam. Trotzdem haben sich viele herrlich eingegroovt: Mittags mit allen zusammensitzen zu können, am frühen Nachmittag auf einen Spaziergang zu gehen und aktiv den Mikrokosmos der Familie zu erleben, ist für viele hoch attraktiv.

Die Arbeit im Betrieb soll wieder die Regel werden

Nun lockert sich mit den Covid-Auflagen auch der Bedarf an strenger Homeoffice-Arbeit. Der Ruf ist deutlich zu hören, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen die Mitarbeitenden wieder häufiger sehen wollen. Modelle wie „eins plus vier“ machen die Runde. Die Arbeit im Betrieb soll wieder die Regel werden und das Homeoffice der Ausnahmetatbestand bleiben. Das erinnert ein wenig an die abrupte Abschaffung des Homeoffice bei Yahoo vor einigen Jahren. Die Spitzenmanagerin Marissa Mayer führte damals als Grund an, dass man körperlich in der Firma anwesend sein müsse, um mit anderen Mitarbeitern erfolgreich zum Wohle des Unternehmens zusammenarbeiten zu können. Geholfen hat dieser Schwenk dem amerikanischen Digitalunternehmen damals jedenfalls nicht so wirklich.

Richtig überraschen kann die Sehnsucht nach Präsenz keinen. Denn immer wieder wurde vor Corona um diese Frage in Organisationen lebhaft gestritten. Ähnliches fördert eine Untersuchung zutage, die HRpepper gemeinsam mit Prof. Heike Bruch von der Universität St. Gallen im Corona-Lockdown vorlegte: Das Arbeiten im Homeoffice hat erwartungsgemäß deutlich zugenommen. Während zur Hochphase des Lockdowns mehr als die Hälfte der Befragten fünf Tage in der Woche von zu Hause arbeiteten, waren es vor der Krise lediglich vier Prozent. Auch Personen, die vor der Krise nie zuhause arbeiteten (30 Prozent), nutzen nun Homeoffice. Einziger Wermutstropfen ist, dass dieser Umstand kaum Spuren in der Kultur der Organisationen hinterlässt. Typische Dimensionen wie Vertrauenskultur, selbstbestimmte Arbeit, flexible Strukturen, inspirierende und visionäre Führung haben sich gar nicht oder nur marginal verändert. Kurzum: Die neuen Arbeitsformen werden häufig zwangsläufig angewendet, obwohl Organisationen kulturell nicht immer darauf vorbereitet sind.

Was kann die reale Gemeinschaft mehr bieten?

Nun soll es wieder zurück in die Betriebe gehen. Es drängt sich die grundsätzliche Frage auf, was die Motive dahinter sind. Was lässt sich aufgrund der Präsenz an einem Bürostandort besser erleben und erledigen als von zuhause? Zumal die Zunahme an Homeoffice den Bedarf an teuren Büroflächen senkt. Die formale Antwort ist humorlos und schnell gegeben: Der Arbeitgeber kann – soweit keine hygienische Gründe vorliegen – ohne Zweifel qua Direktionsrecht den Besuch anordnen. Punkt. Die Antwort auf die grundsätzlichere Legitimation für die Arbeit in Büros ist hingegen komplizierter.

Die pessimistische Antwort im Sinne von Yahoo wäre: Wir haben gemerkt, dass die Produktivität im Homeoffice sinkt und wir endlich wieder die Zügel anziehen müssen. Damit würden diese Organisationen letztendlich ihre eigenen Welt- und Menschenbilder bestätigen, die darauf basieren, dass man Menschen wenig vertrauen kann. Die optimistische Lesart wäre: Wir haben es sehr geschätzt, dass unsere Mitarbeitenden so verantwortungsvoll und effizient mit ihrer Zeit im Homeoffice umgegangen sind, merken aber, dass die reale Gemeinschaft insgesamt mehr bieten kann.

Worin kann dieses „Mehr“ liegen? Sollte es nur um die Currywurst gehen, die jeden Freitag in der Kantine angeboten wird oder der praktische Umstand, dass die Kita auf dem Weg zur Arbeit liegt, dann wird das sicherlich nicht ausreichen, um die Mitarbeitenden davon zu überzeugen. Es braucht schon gewichtigere Gründe. Einer der zentralen wird in der Identifikation liegen. Denn nichts kann die Verbundenheit mit einer Organisation mehr stärken als herausfordernde Aufgaben, gelungene menschliche reale Interaktionen und ein inspirierendes Arbeitsumfeld.

Die Forschung zum Sinnerleben in der Arbeit veranschaulicht uns dies überdeutlich. Danach sind die Aspekte Zugehörigkeit, Bedeutsamkeit, Kohärenz und Zielorientierung notwendig, um Sinn in der eigenen Tätigkeit zu erleben. Alle vier Punkte lassen sich durch reales, persönliches Erleben und Interaktion stärken. Zudem hilft der Ortswechsel ins Büro, die Entgrenzung von Arbeit und damit verbundene Gefahr der Erschöpfung ein zu dämmen.

Eine bewusste Entscheidung ist nötig

Und trotzdem hat das Homeoffice auch gewichtige Vorteile, denn es ermöglicht konzentrierte, selbstbestimmte Arbeit und spart Reisezeiten. Vorausgesetzt, die Verantwortlichen in den Organisationen geben sich und ihren Mitarbeitenden „die Erlaubnis“, dass diese Form der Arbeit auch wirklich kulturell akzeptiert ist und selbstbestimmte Arbeit ermöglicht wird.

Was folgt? Wir sollten uns zukünftig viel bewusster entscheiden, für welche Art der Aufgabe wir welchen Ort brauchen. Wenn wir uns sehen, sollten wir uns Mühe geben, diese auch als angenehme Erlebnisse zu gestalten. Vielleicht folgt aus dem fehlenden Anwesenheitszwang und der damit neu gefunden Freiheit eine ganz neue Wertschätzung für die berufliche Ehe. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber zu wünschen wäre es.