Erfolgreiche Change Leadership und Achtsamkeit gehören (nicht) zusammen

202112

Führung ist im Rampenlicht – besonders im Kontext von Change. Schon vor den drastischen Veränderungen, die die Covid-Pandemie mit sich brachte, war die Welt der Führungspersonen von Wandel, Ungewissheit und einer damit oft verbundenen Stressbelastung geprägt. Laut AOK Fehlzeitenreport haben die Krankheitstage seit 2010 aufgrund psychischer Erkrankungen um 56 Prozent zugenommen. So ist es kaum verwunderlich, dass Achtsamkeitsprogramme in Organisationen an Popularität gewinnen. Ist es sogar möglich, dass die Wirkung über den individuellen Nutzen wie Resilienz und Stressverarbeitung hinausgeht – und den Kern des Erfolgs von Change Leadership bildet?

Von Christine Stütz

 

Eine achtsame Führungsperson unterstützt die Teamleistung

Jon Kabat-Zinn unterrichtet Achtsamkeitsmeditation, um Menschen zu helfen, besser mit Stress, Angst und Krankheiten umzugehen. Während seines Berufslebens als Professor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester engagierte sich der Autor stark dafür, die Achtsamkeitspraxis in Medizin und Gesellschaft bekannt zu machen und zu etablieren. Achtsamkeit definiert Kabat-Zinn (2011, p. 291) als „einen Zustand, in dem wir absichtlich und ohne zu urteilen auf eine bestimmte Art und Weise im Hier und Jetzt aufmerksam sind“.

Die positiven individuellen Effekte von Achtsamkeit auf die physische und psychische Gesundheit sind heute gründlich erforscht und erwiesen (Goldberg et al., 2018, Hülsheger et al., 2013). Allerdings beschränken sich 80 Prozent der Studien auf die Messung des Effekts auf das individuelle Wohlbefinden.

In einer Studie mit dem Fokus auf Führungskompetenzen (Rupprecht et al., 2019) wird deutlich, dass Achtsamkeitsprogramme für Führungspersonen sich signifikant positiv auf weitere Kompetenzen wie Selbstführung und Selbstfürsorge sowie das

Beziehungsmanagement und die eigene Veränderungsfähigkeit auswirken. Der Umgang mit den eigenen Emotionen, die Fähigkeit, mental einen „Schritt zurückzutreten“ und die Situation neu wahrzunehmen bereichern wiederum das Gefühl von Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft im Team (Joseph et al., 2015).

Muskeltraining für Führungspersonen

Es gibt allerdings auch Forschungsergebnisse, die zeigen, dass mit wachsender Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung bei Führungskräften deren Motivation sinkt und sogar im Verlassen der Organisation mündet (Walsh et al., 2017). Das Hinterfragen des täglichen Tuns mit den eigenen Werten kann diesen Effekt noch verstärken. Das heißt auch, dass im Organisations- und Transformationskontext Achtsamkeitsprogramme niemals als schnelle Lösung für tiefer liegende Probleme dienen sollten (Kabat-Zinn, 2011).

Um Achtsamkeit für die Unterstützung von Change Leadership einzuführen und zu trainieren, verspricht ein „non-linearer Angang“ nach Langer (1997) den größten Erfolg. Damit meint die Professorin für Psychologie an der Harvard University, dass der Lernprozess selbst achtsam gestaltet, kontinuierlich weiterentwickelt und offen für neue Informationen und verschiedene Perspektiven sein sollte.

Für die Entwicklung von Führungskräften empfiehlt sich daher die Zusammenarbeit zwischen HR und dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement sowie ein intensives Initial-Training über mehrere Wochen mit fortlaufender Begleitung von Achtsamkeitsübungen (über Apps oder Gruppen) für die Integration in den Führungsalltag, ähnlich dem Trainieren eines Muskels.

Change Management braucht (noch) mehr

Mit dem Blick auf Change Leadership bestätigen Higgs und Rowland (2010) empirisch:  Führungspersonen, die sich ihrer selbst bewusst waren, nutzten ihre Präsenz in der Organisation auf achtsame und nicht auf impulsive Weise. Insgesamt stellten sie fest, dass Maßnahmen zur Förderung der Selbstwahrnehmung von Führungskräften zu einer Verbesserung in der Change Leadership führen.

Allein durch Achtsamkeit ist erfolgreiche Führung durch die Untiefen von Transformation jedoch nicht getan: Gesundheitspsychologin Zarah Rowland (2017) beschreibt Achtsamkeit zwar als eine Führungskompetenz, die ein positives Change Leadership-Verhalten tatsächlich erst ermöglicht. Bei den Change-Führungspraktiken brauche es aber zusätzlich eine gute Balance zwischen der Vermittlung von Sinn, Richtung, klaren Leitplanken und Regeln sowie dem Hinterfragen von nicht hilfreichen Mustern im Hier und Jetzt und dem Gehen von neuen Wegen.

Ein achtsamer Umgang mit sich, den Schwingungen im Team und der Organisation kreiert Erfolg bei Transformationen. Ein Wandel von Führungsverhalten und -kompetenzen in diese Richtung erfordert zudem eine entsprechende Unternehmenskultur sowie Raum und Zeit fürs Dranbleiben. Wie die genannten Studien und die Arbeitsausfallzeiten zeigen, lohnt sich das Resilienztraining nicht nur für jede Führungskraft und ihre Mitarbeitenden, sondern für die gesamte Organisation – und das besonders in Zeiten der Veränderung, die sich aktuell vor allem in der zunehmenden Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeitsorten und -zeiten zeigt. Gerade Change Prozesse brauchen eine resiliente Führung und kompetente Begleitung, um sie für alle Beteiligten gesund und erfolgreich zu gestalten.

Quellen