Personalentwicklung ist heute eine wesentliche Säule im Rahmen von Transformation und großen Change-Projekten. Eine solche Sichtweise verlangt aber auch ein entsprechendes Rollenverständnis der Lernbegleiter:innen und PE-Strateg:innen.

Von Jan C. Weilbacher

In den meisten Unternehmen fristet das Thema Lernen und Entwicklung immer noch ein Schattendasein, weil es nicht als relevant genug gesehen wird und/oder es keinen in der Organisation gibt, der das Thema treibt.

Diejenigen, die in solchen Unternehmen „nebenbei“ für die Personalentwicklung (PE) verantwortlich sind, sorgen zwar meist für Lernangebote, lassen aber notgedrungen den notwendigen strategischen Blick und die Orientierung an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden vermissen – vor allem aus Mangel an Ressourcen für die PE.

Und in den Organisationen, in denen eine strategische Herangehensweise besteht, werden beispielsweise auf Basis von Kompetenzmodellen, den verschiedenen Anforderungsprofilen sowie den Lernbedürfnissen die jeweiligen Lernpfade konzipiert. Die modernen Unternehmen setzen dabei stark auf ein eigenverantwortliches und selbstgesteuertes Lernen. Personalentwickler:innen fungieren dann zusätzlich auch als Berater:innen.

Veränderungszyklen werden immer kürzer

Was es aber braucht – und das fehlt meines Erachtens in den meisten PE-Abteilungen –, ist das Bewusstsein, dass Personalentwicklung heute mehr denn je eine wichtige Säule von Unternehmenstransformationen bzw. ein wichtiger Teil in Change-Vorhaben ist. Dass Personalentwicklung zu machen auch bedeutet, Veränderungen zu gestalten, voranzubringen und zu begleiten.

Denn die Veränderungszyklen werden immer kürzer – sei es aufgrund von neuen Innovationen oder neuen Technologien. Organisationen müssen sich fortwährend an neue Gegebenheiten anpassen und so ziemlich jede Organisation befindet sich auf einer Transformationsreise.

Nehmen wir als Beispiel die Banken. Der Wandel der Finanzinstitute ist gravierend. Und meiner Beobachtung nach wird er auch nun angegangen. Viele Banken wollen nun Technologieunternehmen werden. Notwendig sind unter anderem digitale Kompetenzen, ein neues, vernetztes Arbeiten, kreatives Denken, Produktentwicklung in cross-funktionalen Teams und die Nutzung eines komplett neuen Kernbankensystems.

Mitarbeiter:innen müssen sich neue Fähigkeiten und ein anderes Mindset aneignen, sie lernen offen mit anderen zusammenzuarbeiten, lernen mit einem Kernbankensystem in der Cloud umzugehen. Und wenn das geschafft ist, kommen neue Veränderungen.

In diesen dynamischen Zeiten mit den entsprechenden Umwelten ist Lernen das Fundament des Wandels.

Growth Mindset und die psychologische Sicherheit für das Lernen

Gerade in Unternehmen, die sich in solchen Umwelten bewegen, liegt die Verantwortung für die Arbeitsmarktfähigkeit (Employability) der Mitarbeitenden zunehmend vor allem beim Einzelnen. Die Aufgaben der Funktion Personalentwicklung werden aber dadurch nicht weniger.

Sie sollte unter anderem die Verbindung zur Unternehmensstrategie und zur Transformation deutlich machen und sowohl auf der Makroebene (Organisationsentwicklung) als auch auf der Mikroebene (Individuum) das Lernen und die Entwicklung im Sinne der Transformation begleiten. Manche Menschen brauchen zum Beispiel noch Unterstützung bzw. Sparring, wenn es darum geht, das für sie Relevante zu erkennen – weniger inhaltlich, sondern vielmehr methodisch.

Jan Foelsing unterscheidet in seinem Buch (zusammen mit Anja Schmitz) „New Work braucht New Learning“ zwischen exploitativen und explorativen Bedürfnissen des Lernenden. Beim Lernen im Sinne der „Exploitation“ geht es um die stetige Weiterentwicklung im Prozess der Arbeit. Performance Support wäre eine Begleitung in Bezug auf exploitative Bedürfnisse. Dazu gehört zum Beispiel die neue Software zu verstehen und anzuwenden. Entstehen können Lernressourcen wie Checklisten, Lernvideos, Arbeitshilfen.

Beim exploitativen Lernen geht es unter anderem um das Lösen von akuten Problemstellungen.

Hingegen zielt das explorative Lernen auf das Lernen von wirklich Neuem, um in der Zukunft bestehen und sie gestalten zu können. Diesbezüglich brauchen Menschen unter anderem ein sogenanntes Growth Mindset, die Lust, sich weiterzuentwickeln, jedoch auch die psychologische Sicherheit, damit sie sich trauen, etwas auszuprobieren und Risiken einzugehen. Ohne psychologische Sicherheit kann sich keine Fehlerkultur entwickeln.

Die Funktion der Personalentwicklung kann helfen, die Balance zwischen exploitativen und explorativen Lernen zu finden (ambidextres Lernen).

Organisationsentwicklung mitdenken und Kommunikation können

Beim explorativen Lernen und zu Teilen auch beim exploitativen Lernen ist insbesondere Verhaltensänderung das Ziel. Letztlich lässt sich sogar die Digitale Transformation auf der Makroebene auf die Verhaltens- und Mindset-Änderung des Einzelnen (Mikroebene) herunterbrechen. Das effektive, kontinuierliche Lernen sowie die Bereitschaft zur Verhaltensänderung werden so zum entscheidenden Faktor, der über den Erfolg der Transformation entscheidet. Und die Personalentwicklung als Funktion hat eine Rolle, die wichtig ist wie nie: die der Veränderungsbegleiter:in oder -gestalter:in.

Die Verantwortlichen der Personalentwicklung in den Unternehmen müssen deshalb PE noch mehr als Change-Thema betrachten und ihre Rolle noch mehr als Change-Begleiter:innen. Dies hat allerdings auch einige Implikationen für die Funktion PE. Hier seien beispielhaft einmal fünf Punkte genannt.

1. Personalentwicklung muss Organisationsentwicklung mitdenken

Zu oft werden noch Führungskräfteseminare zu New Work und ähnliches durchgeführt, die keine Wirkung erzielen. Die Teilnehmer:innen bekommen ein paar agile Methoden und eine moderne Führungskultur nähergebracht, doch wenn sie wieder in den routinierten Arbeitsabläufen und Strukturen der Organisation sind, ist wieder alles beim alten. Nix mit New Work und agilem Arbeiten. Personalentwickler:innen müssen sich auch als Organisationsentwickler:innen verstehen und sich fragen, welche Dimensionen und/oder Hebel sind zu berücksichtigen, um echten Wandel in Bewegung zu setzen? Christian Völkl und Matthias Meifert sprechen in ihrem Buch „Human Business Design“ von Pontons, Arbeitsplattformen, Beratungs- und Reflexionsflächen für die beteiligten Akteur:innen. „Kompetenzen und Fähigkeiten“ ist nur ein Ponton von insgesamt sieben.

Bei einer ganzheitlichen Betrachtung würde man vielleicht feststellen, dass die aktuellen Anreizsysteme, Zielvereinbarungen oder Prozesse zur Ressourcenallokation dem gewünschten Verhalten im Weg stehen. Gerade wenn es um exploratives Lernen geht, ist ein entsprechender Rahmen notwendig, braucht es Ressourcen und die (implizite) Erlaubnis durch Führung, dass Lernen und Entwicklung für die Zukunft heute okay sind. Personalentwickler:innen und Lernbegleiter:innen müssen sich trauen, das ursprüngliche enge Aufgabengebiet zu verlassen und den ganzheitlichen Fokus wagen.

2. Personalentwicklung muss (Change-)Kommunikation können

Zu oft werden Lernangebote und Lernpfade mit dem Fokus der Kompetenzentwicklung konzipiert, die von der eigentlichen Zielgruppe wenig in Anspruch genommen werden. Manchmal ist in der Organisation gar nicht bekannt, dass die Angebote überhaupt existieren. Diejenigen, die Personalentwicklung machen, sehen sich in der Regel eher in der Konzeptarbeit. Dass sie ihre Leistung auch verkaufen müssen, wird oft vergessen.

Im Rahmen einer Transformation geht es jedoch noch um mehr. Denn nicht selten haben die Mitarbeiter:innen und Führungskräfte gar keine Lust, sich weiterzubilden bzw. haben sie keine Zeit. Sie ersticken in operativen Tätigkeiten und werden von ehrgeizigen Zielvorgaben gedrückt. Damit wären wir zum einen beim ersten Punkt. Zum anderen gilt es ebenfalls, im Sinne von Change Communication den Nutzen von bestimmten Programmen und Modulen zu erklären, sowie die Zusammenhänge mit Blick auf die Transformation der Organisation zu verdeutlichen.

Auch eventuelle Befürchtungen und Ängste müssen adressiert werden. Ist das, was gelernt werden soll, für manche vielleicht zu herausfordernd? Was könnte Mut machen, die Lernreise dennoch anzugehen? Vielleicht ein Netzwerk, das als Unterstützung bereitsteht? Regelmäßige „Sprechstunden“ mit den Experten oder Key Usern können ebenfalls helfen.

3. Personalentwicklung muss Stakeholder Management betreiben

Wir dürfen bei den vielen New-Work-und Transformations-Beiträgen nicht vergessen, dass es im Change ebenfalls häufig um Politik geht oder darum, wichtige Akteur:innen für das eigene Anliegen zu gewinnen.

Es kann also Sinn machen, sich Gedanken zu machen, wen es im Unternehmen braucht, um ein Führungskräfteentwicklungsprogramm durch die Tür zu kriegen. Oder welche Führungskräfte muss man überzeugen, damit die lernenden Mitarbeiter:innen die Zeit bekommen, um in ihrer Lern-Community aktiv zu sein? Man darf nicht vergessen: Fernab der LinkedIn-Bubble wird Lernen noch in vielen Unternehmen als etwas betrachtet, das man gerne in seiner Freizeit betreiben kann, was aber mit „echter Arbeit“ nichts zu tun hat.

4. Personalentwicklung muss auf Netzwerke, Communitys und „Bewegungen“ setzen

Der Netzwerk-Gedanke ist natürlich im Bereich Lernen nicht neu. Communitys und Netzwerke spielen heute mit Bezug auf das Lernen eine Riesenrolle. „Kollegiale Fallberatung“, Communitys of Practice, selbstorganisierte Lerngruppen sind mittlerweile fester Bestandteil von Lernlandschaften.

Aber auch mit Blick auf „Veränderungen gestalten“ und Lernen sollten sie genutzt werden. Wenn es um das Fördern von digitalen Skills oder die Vernetzungen geht, die Verhaltens- und Kulturveränderungen verlangen, sieht man in manchen Unternehmen, wie regelrechte „(Grassroots-)Bewegungen“ entstehen, die den Wandel stark voranbringen. Beispiele wären die Working-out-Loud-Bewegung bei Bosch oder Digital Life bei Daimler.

5. Personalentwicklung muss Coaching anbieten

Unter der Prämisse, dass wir lernen müssen, kontinuierlich mit Veränderungen umzugehen, wird Unterstützung mithilfe von Coaching – für Mitarbeitende und Führungskräfte – immer wichtiger. Dafür sollte sich die PE verantwortlich fühlen und Coaching als Instrument ins Portfolio aufnehmen. Mittlerweile ist auch das virtuelle Coaching eine Form, die von immer mehr Menschen akzeptiert wird.

Einzel-, aber auch Teamcoaching werden unter anderem deswegen wichtiger, weil wir erleben, dass Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse tendenziell stärker auf Teams und Mitarbeitende übergehen. Zumindest ist es das, was in dynamischen Arbeitswelten gefragt ist: Führungskräfte, die delegieren und Teams, die selbstorganisierter arbeiten. Weil zum einen die Entscheidung dort getroffen werden soll, wo die Kompetenz ist – und um Schnelligkeit zu gewinnen.

Um diese Entwicklung gut zu begleiten, kann Coaching (für die Führungskräfte und das Team bzw. den Mitarbeitenden) eine große Hilfe sein. Mit Freiheit und Verantwortung gut und effektiv umzugehen, fällt nicht vom Himmel. Erst recht nicht, wenn man in einer bisher hierarchischen Organisation sozialisiert wurde. Beim Übergang in eine agile Organisation sollte jeder und jede einen Coach zur Seite gestellt bekommen.


Literaturtipps und eine Anmerkung:

Jan Foelsing; Anja Schmitz: New Work braucht New Learning: Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten, 2021, Springer Gabler

Christian Völkl und Matthias Meifert (HRpepper): Human Business Design: Das Pontonprinzip für Unternehmen in dynamischer Transformation, 2021, Murmann Publishers

Zum Thema „niedrigschwelliges Coaching“ sei an dieser Stelle noch auf thankscoach verwiesen, die Teil der HRpepper Company sind.

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